„Die Bechers hatten eine Motorsäge im Auto“

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„Die Bechers hatten eine Motorsäge im Auto“

Fotokunstmetropole Düsseldorf

Ralf Brueck hat aktuell eine große Einzelausstellung in Ratingen, Andreas Gefeller bekommt 2023 eine Soloshow im NRW-Forum, Anne Pöhlmann durfte unter anderem bereits den Japanraum der Langen Foundation bespielen und Martin Klimas hat es mit seinen Arbeiten ins „New York Times Magazine“ geschafft. Wir haben vier erfolgreiche Düsseldorfer Fotokünstler*innen besucht und uns auf die Suche nach der Formel „Fotokunst made in Düsseldorf“ begeben.

Obwohl sie gerahmt ist, scheint die Welle uns durchzuschleudern und die Orientierung zu rauben. Wo ist oben, wo ist unten? „Wave“ heißt das Werk von Ralf Brueck schlicht, und auch die Arbeit „Columbus Module ISS“, ein weiteres ikonografisches Motiv, wenn auch auf ganz andere Art, vereinnahmt uns sofort. Doch können wir hier der Perspektive und dem Werktitel trauen? Zeigt das Werk aus der „Deconstruction“-Serie wirklich das Forschungslabor der Internationalen Raumstation beziehungsweise dessen detailgetreuen Nachbau bei der ESA in Köln? Oder wurde der reale Schauplatz digital verfremdet? „Schaut mal genau hin“, rät Ralf Brueck. Nach einem kurzen, aber heftigen Schauer fällt jetzt wieder das noch immer intensive Herbstlicht durch die Fenster des Museums Ratingen und zeichnet helle Streifen auf den Boden. Hier ist bis zum 29. Januar 2023 eine Werkschau von Ralf Brueck zu sehen. Gezeigt werden 63 Exponate, darunter fünf Videoarbeiten.

Brueck ist einer der jüngeren Vertreter der legendären Düsseldorfer Photoschule. In seinen teils großformatigen Serien setzt er sich mit Architektur und urbanen Räumen, aber auch mit Landschaften und Naturphänomenen auseinander. Als er 1995 sein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie begann, leitete noch Bernd Becher die Fotoklasse. Zusammen mit seiner Frau Hilla, denn auch wenn sie offiziell an der Akademie keine Professur innehatte, arbeitete das Künstlerehepaar stets gemeinsam. Hochöfen, Wasser- und Fördertürme, Gasometer, Getreidesilos, Fabrikhallen – mit ihren seriell angelegten Schwarz-Weiß-Aufnahmen schufen Bernd und Hilla Becher ein Lebenswerk, das ihnen zu weltweiter Berühmtheit verhalf und sie selbst überdauern sollte. Nicht nur das: Aus der „Becher-Klasse“ gingen Fotokünstler*innen wie Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Thomas Struth und Thomas Ruff hervor. Gurskys Werk „Rhein II“ erzielte 2011 bei einer Auktion rund 4,3 Millionen Dollar und ist damit (nach einem Werk von Man Ray) die zweitteuerste Fotoarbeit, die jemals versteigert wurde.

In einem „Dorf“ mit Gursky und Ruff

„Ich bin Düsseldorf schon sehr verbunden“, sagt Brueck. „Es ist ein Dorf mit Metropolencharakter. Viele weltbekannte Künstler leben hier.“ Das triff auf Andreas Gursky ebenso zu wie auf Thomas Ruff. Bei Letzterem studierte Ralf Brueck ab dem Jahr 2000 und wurde später dessen Meisterschüler. Brueck ist viel gereist, mag New York und Los Angeles. Trotzdem ist er vor einigen Jahren von der Düsseldorfer Innenstadt in den beschaulichen Stadtteil Oberrath gezogen. Der Grund: eine Beletage in einer Jahrhundertwendevilla am Waldrand, deren architektonischer Reiz sich angesichts der Kassettentüren und schönen Bogenfenster auch uns sofort erschließt. Die Entscheidung weg aus der Innenstadt zu ziehen, ist Brueck, der 1966 in Düsseldorf geboren wurde und dessen Eltern am Schwanenspiegel ein Restaurant „mit Bötchenverleih“ betrieben „noch bevor das K21 zum K21 wurde“, nicht leichtgefallen.

„Egal, in welchen Stadtteil du in Düsseldorf gehst, du triffst immer auf eine beträchtliche Anzahl von Künstlern, die dort leben, und zwar aus den unterschiedlichsten Generationen. In der Dichte ist das schon außergewöhnlich“, sagt Anne Pöhlmann, Jahrgang 1978. Auch sie studierte bei Thomas Ruff, ab 2001, später wechselte sie in die Klasse von Rita McBride. Was hat sie an die Düsseldorfer Kunstakademie gelockt? „Man wusste natürlich: Die Akademie ist aktiv und sie bekommt eine große Aufmerksamkeit“, sagt die gebürtige Dresdnerin und führt nicht zuletzt den jährlichen Rundgang ins Feld. „Bemerkenswert fand ich während meines Studiums auch, dass wir jedes Semester etwa zehn Gaststudenten hatten. Und das hat auch die Realität in der Stadt gespiegelt, deren Internationalität mich dann doch überrascht hat. Denn so groß ist Düsseldorf ja gar nicht.“

Schmelztiegel Düsseldorf

Anne Pöhlmanns engste Freund*innen kamen plötzlich aus Südkorea oder Belarus. Oder aus Japan, einem Land, das Pöhlmann auch künstlerisch inspiriert hat. Für ihr „Japan Diary“ bediente sie sich japanischer Druckverfahren, um ihre Fotografien auf Seide zu drucken. Den Anstoß gab eine Residency in Kyoto. „Ich hatte mich zuvor schon mit der Frage beschäftigt: „Was ist ein Bildträger?“ und nutzte seither verschiedenste Materialien für meine Fotodrucke.“ In der alten Kaiserstadt Kyoto mit ihrer Textiltradition ist sie dann auf Flohmärkten außerdem auf alte Vintagestoffe gestoßen. Das hat sie auf die Idee gebracht, zusätzlich zum Fotodruck auf Seide weitere Textilien in ihre Arbeiten zu integrieren. Das Ergebnis war dann unter anderem als Installation im Japanraum der Langen Foundation in Neuss zu sehen, wo Anne Pöhlmann 2019 eine Einzelausstellung hatte. „Für mich ist die Verschränkung von Konzeptkunst und Fotografie sehr interessant.“  

„In Düsseldorf gibt es einfach wahnsinnig viele Fotokünstler, mit denen man sich austauschen kann“, sagt Andreas Gefeller. Der Fotograf empfängt uns in seinem Atelier, ein kleines zweistöckiges Haus in einem Hinterhof auf der Hansaallee. Der Blick geht hinaus auf einen Trompetenbaum. An der Wand in der oberen Etage, wo Gefellers Arbeitsplatz ist, hängen einige seiner neuesten Arbeiten. „Dust“ heißt die Serie, der Fotokünstler arbeitet noch daran. „Ich zeige ‚Dust‘ zunächst auf der Art Cologne und dann im kommenden Frühjahr auch im NRW-Forum.“ Am 3. März 2023 startet im NRW-Forum die Einzelausstellung „Andreas Gefeller“. Gezeigt werden 60 Werke aus dem gesamten Schaffen des Düsseldorfers, von 2000 bis heute bis hin zu „Dust“.

Dust? Die Bilder hier im Atelier erinnern zum Teil eher an Astroaufnahmen. „In Wirklichkeit ist es Schlacke, die hochgeworfen wird und in der Luft zerstiebt. Ich habe sie in der Müllverbrennungsanlage in Flingern fotografiert“, erklärt Andreas Gefeller. „Wenn man näher rangeht, kann man Glas- und Metallsplitter erkennen oder Drähte, manchmal auch Schrauben.“ Tatsächlich, jetzt entdecken wir kleine farbige, teils pixelartige Punkte. Gefeller hat die Farbkontraste angehoben, „um sichtbar zu machen, was sonst nicht sichtbar ist“. Dadurch lichtete sich das Grau-in-Grau der Schlacke und gibt einige seiner Geheimnisse preis.

Die Erweiterung des Erfahrbaren

Ob bei einer frühen Werkreihe wie „Soma“, für die er Ferienanlagen auf Gran Canaria bei Nacht und mit Langzeitbelichtung fotografiert hat, oder einer Serie wie „Flames“, in der die titelgebenden Flammen eher an Knochen, Pilze oder Embryonen erinnern – bei Gefeller ist der erste Blick oft trügerisch. Im Rückgriff auf Techniken wie Langzeit-, Kurzzeit- und Überbelichtung, das Collagieren digitaler Einzelbilder oder die Wahl ungewöhnlicher Perspektiven erweitert der Fotokünstler, der an der Essener Folkwang Universität studiert hat, die Dimension des Erfahrbaren. Identifiziert er sich als Künstler, der von Galerien in Köln, London, Amsterdam und New York vertreten wird, mit seiner Geburtsstadt Düsseldorf? „Ich empfinde mich nicht als Teil einer Gruppe, aber natürlich ist es so: Egal, wo auf der Welt ich unterwegs bin, die Düsseldorfer Photoschule kennt wirklich jeder, und das ist sicher nicht zu meinem Nachteil.“

Doch woran liegt es, dass Düsseldorf auch heute noch ein oder vielleicht sogar das Zentrum der künstlerischen Fotografie ist, auch international betrachtet und bald ein halbes Jahrhundert nach dem Antritt der Bechers an der Kunstakademie? Dafür scheint es nicht nur historische, sondern auch ganz handfeste, oder besser handwerkliche Gründe zu geben. „Düsseldorf hat eine großartige Infrastruktur. Es gibt hier Fotolaboratorien und Werkstätten, die eine Expertise bündeln, die du sonst so nicht findest“, sagt Martin Klimas. Ihn treffen wir in seinem Studio auf der Mintropstraße. Einen Hinterhof weiter befand sich einst das legendäre Kling-Klang-Studio von Kraftwerk, in einem Atelierhaus auf der benachbarten Harkortstraße arbeiteten Künstler wie Gerhard Richter, Blinky Palermo oder Thomas Schütte. „Grieger ist eine solche Adresse und auch HSL“, ergänzt Klimas. Die beiden Fotolaboratorien haben vor zwei Jahren fusioniert. „Und wo findest du einen Rahmenbauer wie Frank Terhardt mit seinen Vier-Meter-Rahmen?“

Handwerk gehört zum Geschäft

„In Düsseldorf habe ich all die Werkstätten, die ich brauche“, hatte auch Ralf Brueck uns verraten. Und tatsächlich liest sich die Kundenliste von Grieger wie das Who’s who der Kunstfotografie – sie reicht von Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth über Wolfgang Tillmans bis Thomas Demand. Die Firma Grieger war eine Pionierin in der Acrylglasversiegelung. Seit den 70er Jahren ist das Unternehmen Hauptlizenznehmer des Diasec-Verfahrens, das eine dauerhafte, blasenfreie Verbindung des Bildes mit dem schützenden Acrylglas ermöglicht – und das auf bis zu 5 mal 2,40 Metern. „Auch die Bechers haben noch in kleineren Bildformaten gearbeitet und die Einzelbilder dann in ihren Typologien zusammengefügt. Dass Grieger das Großformat technisch bereitstellen konnte, bedeutet einen Paradigmenwechsel“, sagt Martin Klimas. „Von da an war die Fotografie konkurrenzfähig zur Malerei, denn zuvor hatte die Malerei das großformatige Bild für sich gepachtet.“

Wieso ging dieser Paradigmenwechsel ausgerechnet in Düsseldorf vonstatten? Klimas sieht hier die Werbe- und Messestadt als Impulsgeberin. Gerade für Werbemittel sei das Großformat natürlich zentral. Auch er selbst hat Berührungspunkte mit der Werbung. Sein Studium an der Fachhochschule Düsseldorf, heute HSD, absolvierte er unter anderem bei Gerhard Vormwald, einem bekannten Werbe- und Magazinfotograf der 1970er Jahre.

Heute wird der Fotokünstler von der Flingeraner Galerie Cosar vertreten, außerdem von einer Galerie in New York. In seinem Studio bleibt unser Blick zunächst an einer kleineren gerahmten Arbeit hängen, dem Artwork für ein Plattencover. „Miles At The Fillmore“ ist darauf zu lesen. Miles, also Miles Davis? „Das ‚New York Times Magazine‘ hatte einige meiner ‚Sonic Sculptures‘ gezeigt und daraufhin hat mich der Artdirektor einer Plattenfirma angesprochen.“ Klimas’ farbenfrohe „Sonic Sculptures“ sind eine Art synästhetisches Experiment. Die Versuchsanordnung: Klimas setzt einen bespannten Keilrahmen auf einen Lautsprecher, dann trägt er Farbe auf und dreht am Lautstärkeregler. Durch die Schwingung der Membran gerät die Farbe in Bewegung, wird hochgeschleudert und vollführt eine regelrechte Choreografie. Im Fall des Artworks, vor dem wir stehen, lieferte das Miles-Davis-Stück „Pharaos Dance“ das akustische Material. Für den Rest vertraute Klimas auf die Hochgeschwindigkeitsfotografie.

Auf dieser speziellen Technik beruhen auch weitere seiner Serien. Wie sonst ließen sich beispielsweise auf dem Boden zerschellende Porzellanfiguren oder von Projektilen getroffene Blumenvasen im Moment ihrer Zerstörung fotografisch festhalten? Wir blicken auf die Ausdrucke an den Wänden und staunen über die Ästhetik des Zerfalls. Sieht Klimas irgendeine Verbindung zwischen der eigenen Studiofotografie, für die Lichtschranken und Hochdruckschussgeräte zum Einsatz kommen, und der nach Objektivität strebenden Fotografie von Bernd und Hilla Becher? „Auch die Bechers hatten eine Motorsäge im Auto und haben aus dem Weg geräumt, was sie bei ihrer Arbeit störte. Es gab auch einen Assistenten mit einem alten Feuerwehrauto und langer Leiter.“ Klimas grinst.

Wo sich Beuys und Warhol trafen

Natürlich findet Fotokunst nicht im luftleeren Raum statt, gerade in Düsseldorf fällt sie auf bereiteten Boden. Nicht nur mit Blick auf die hochkarätige Museumslandschaft und die vielen Kunst- und Kulturinstitutionen mit ihren Förderprogrammen. „Das Eckhaus hier am Luegplatz, an dem ich jeden Tag vorbeilaufe, hat Andy Warhol in einem Bild mit dem Titel ,Oberkassel´ festgehalten. Er kannte den Stadtteil von seinen Besuchen bei Joseph Beuys“, sagt Anne Pöhlmann. Ihr Atelier hat sie in Wuppertal, lebt aber selbst in Oberkassel. Kunst sei in Düsseldorf allgegenwärtig, meint sie, und vielleicht gefalle es so manchem/r Künstler*in auch, „dass man hier ein wenig unter dem Radar fliegen kann“. Düsseldorf sei entspannt und gleichzeitig stolz auf seine Kunsttradition. Das zeigten auch die vielen Freundeskreise mit Leuten jeglichen Alters, die es hier gibt. Ein weiteres Herausstellungmerkmal seien die extrem vielen Off-Spaces wie the pool in Golzheim oder auch eine ganze Reihe von Adressen auf der Flingeraner Birkenstraße wie Nails, sonneundsolche, Baustelle Schaustelle und Da in die Front. „Schon als Studierende hat man Ausstellungen mit Off-Spaces gemacht.“ Kunstevents wie die DC Open – die Düsseldorf Cologne Open Galleries – findet Anne Pöhlmann gut, die Galerie, die ihre Arbeiten repräsentiert, Clages, sitzt in Köln. Am strike a poseFestival, bei dem Kunst und Mode sich befruchten, war die Künstlerin selbst schon beteiligt. „Solche Events sind auch für Leute, die sonst eher nicht in Galerien oder Museen gehen, ein guter Anlass, es zu tun.“

Ralf Brueck betont neben seiner Liebe zum K21 den Wert der Sammlungen Stoschek, Philara und Kai10. Und wir wiederum staunen während des Besuchs seiner Ausstellung über die Leihgeber*innen der im Museum Ratingen versammelten Werke, darunter Thomas Ruff, Candida Höfer und Walid El Sheikh. Ach ja, natürlich, Arbeiten von Brueck hängen ja auch in El Sheikhs Bar „Sir Walter“ in der Düsseldorfer Altstadt. Allem voran sein großformatiges Bild „Wirtschaftswunder“. Fotografiert hat Brueck dafür im Foyer des Düsseldorfer Dreischeibenhauses, einer Ikone des aufstrebenden Nachkriegs-Deutschlands. Die Verbindung von Kunst und Club- oder Barkultur hat in Düsseldorf ja Tradition, man denke an das Creamcheese oder den Ratinger Hof. Ralf Brueck nickt. „Wenn das Konzept stimmt, kann sich beides befruchten.“

  • „Andreas Gefeller“ im NRW-Forum läuft vom 3. März bis zum 14. Mai 2023.

Reportage von Ilona Marx und Sebastian Wolf (Fotos).

Dieser Beitrag ist gefördert durch REACT-EU.

Bilder: Düsseldorf Tourismus

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