Mike Litt steht hinter ein paar Ästen eines geschmückten Weihnachtsbaumes.

3 Fragen an Mike Litt, der einsamste DJ der Welt

|

„Es überrascht mich, dass ‚Der einsamste DJ der Welt‘ nicht in Vergessenheit gerät.“

Mike Litt ist Radiomoderator, Buchautor und Host von unserem Podcast „Alle Rhein!“. 1995 fiel der Startschuss für 1Live, den frischen, jungen Sender im WDR-Portfolio. Von Anfang an dabei: Mike Litt. Sendungen wie der 1Live „Partyservice“ mit Piet Blank von Blank & Jones und später 1Live „Klubbing“ machten ihn zu einem der angesagtesten Radio-DJs und Moderatoren dieser Zeit − der Ära als die Loveparade durch die Decke ging und die Mayday in Dortmund zehntausende Besucher verzeichnete. 1997 ging „Der einsamste DJ der Welt“ zum ersten Mal on Air, moderiert von Mike Litt. Das Besondere: Die Live-Sendung füllte den Heiligabend. 2012 veröffentlichte Litt ein gleichnamiges Buch. Darin beschreibt er nicht nur sein Leben als einsamster DJ, sondern auch seine Kindheit. Wir habe mit ihm über Heiligabend, Kindheit und große Gefühle gesprochen.

Heiligabend zu arbeiten, ist für die die meisten unvorstellbar. Aber du hast 20 Jahre lang die Radiosendung „Der einsamste DJ der Welt“ moderiert. Wie ist das zustande gekommen?
1997 war 1Live noch in der Pionierphase und wir waren alle sehr kreativ. Wir haben Radio neu gedacht. Heiligabend hat niemand eine Live-Sendung gemacht. Die Idee kam von dem damaligen 1Live-Chef Jochen Rausch. Er wollte, dass die Menschen, die an Heiligabend allein sind, sich weniger einsam fühlen. Ich war frisch getrennt, dementsprechend traurig und genauso einsam wie viele unserer Hörer*innen. Also habe ich das neue Format übernommen. Ich war eine Art Katalysator für die Menschen, die sich allein fühlten. Hörer*innen konnten uns im Vorfeld ihre Musikwünsche schicken, per Post oder Fax. Internet war damals halt noch nicht. Es waren natürlich nicht nur Weihnachtssongs darunter. Ich hatte bei der Auswahl freie Hand. Die Sendungen waren dann immer sehr bewegend. Viele Menschen waren dankbar für das Format und es kamen Briefe und Faxe, die sehr emotional waren. Ich musste sogar ein paar Mal während der Sendung weinen. Mit den Jahren kam die Post stapelweise. Ich werde bis heute auf „Der einsamste DJ der Welt“ angesprochen. Nachdem ich selbst Vater geworden bin, habe ich die Sendung noch ein paar Jahre gemacht und dann beschlossen 2017, zum 20-jährigen Jubiläum, die Show ein letztes Mal zu moderieren.

Mike Litt, schwarzweiß Foto

Du hast 2012 das Buch „Der einsamste DJ der Welt“ veröffentlicht, es ist im Grunde deine Autobiographie. Du gewährst Einblicke in dein Leben und erzählst auch, dass du bei deiner Großmutter und Tante aufgewachsen bist, weil deine Mutter spurlos verschwunden ist. Deinen Vater hast du nie kennengelernt. Ich glaube, dass es Mut erfordert, sich auf diese Art verletzlich zu zeigen. Was hat dich dazu veranlasst?
Wir alle haben alle unsere Wunden und unsere Verletzungen. Wenn ich von außen auf meine frühkindliche Lebensgeschichte schaue, kann ich nur zum Ergebnis kommen, dass ich desolat bin. Die Frage war und ist, wie gehe ich damit um. Für mich war es ein langer Entwicklungsprozess, bis ich bereit war darüber zu sprechen. Zwar haben sich die sozialklimatischen Bedingungen verändert. Es gibt mehr Raum für private und psychische Befindlichkeiten. Es ist trotzdem für jeden Menschen eine Herausforderung, sich dem zu stellen. Alle haben ihr Päckchen zu tragen. Nachdem ich viele Jahre Weihnachten recht anonym im Sender gefeiert habe, war ich plötzlich Vater von Zwillingen und Teil meiner eigenen Familie. Mein Impuls war, dass meine Jungs ihren Vater kennen sollen. Auch weil ich nichts über meinen Vater weiß. Ich bin bei meiner Oma, Tante und mit meiner Cousine aufgewachsen. Ich habe lange gedacht, ich brauche keinen Vater. Aber für meine Jungs wünsche ich mir etwas anderes.

Du hast die Sendung „Der einsamste DJ der Welt“ 20 Jahre moderiert, das ist eine lange Zeit. Du hast eben gesagt, dass einige Briefe sehr emotional waren und dich stark berührt haben. Gibt es eine Geschichte, die du bis heute in Erinnerung hast?
Wir haben immer sehr, sehr viel Post bekommen. Ich habe aus dem Haufen an Briefen, welche rausgepickt, die ich oft nicht einmal vorab prüfen konnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Hörerin mehrmals aus der Menge an Briefen rausgezogen würde, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Ist aber passiert. Ich habe jedes Jahr den Brief eines Hörers, Andreas, mit dem Wunschlied „Stop the cavalry“ von Jona Lewie dabeigehabt − auch bei der letzten Sendung. Als ich dann seinen Brief in der Hand hatte, habe ich erst noch Jokes darüber gemacht und ihn dann vorgelesen. Seine Geschichte hat mir aber regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen. Er hat sich den Song Jahr um Jahr für seinen verstorbenen Bruder gewünscht. Ich hatte die Jahre davor keine Ahnung. Das war ein Moment, in dem ich weinen musste. Wir haben uns später tatsächlich noch kennengelernt und stehen nach wie vor in Kontakt. Zuletzt haben wir uns während der Vorweihnachtszeit vor vier Jahren in Essen gesehen, bei einer Lesung mit meinem Buch. Es überrascht mich, dass weder die Sendung noch das Buch in Vergessenheit geraten. „Der einsamste DJ der Welt“ ist zu einer Rolle, einer Figur geworden. Mal schauen, vielleicht mache ich in naher Zukunft nochmal etwas damit.

Interview: Cynthia Blasberg
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von Mike Litt.

Mike Litt ist im US-Bundesstaat Virginia geboren, hat lange in Bochum gelebt und arbeitet meistens in Köln. Was kaum einer weiß: Der Kosmopolit wohnt mit seiner Familie in Düsseldorf im schönen Zooviertel. Er ist Radio-Moderator (1Live, WDR 2, DLF Nova), DJ mit Mayday-Erfahrung und Buchautor.

Tipp: Wer nicht warten möchte, bis Mike Litt als einsamster DJ auftritt, kann in unseren Podcast „Alle Rhein!“ hören. Zu hören ist er außerdem regelmäßig auf WDR2 mit der Sendung „Pop“ und auf Deutschlandfunk Nova mit „Club der Republik“.

Jetzt zum Newsletter anmelden und keine Neuigkeiten mehr verpassen