„Wir wollten die Geschichte des Kunstpalast weitererzählen und nicht irgendetwas neu erfinden.“
Teil zwei unseres Deep Dive Kunstpalast widmet sich der neuen Ausstellungsarchitektur des im November 2023 vollständig wiedereröffneten Museums. Wir trafen Joachim Sieber, der sich mit seinem Düsseldorfer Architekturbüro in einer europaweiten Ausschreibung durchsetzen und den Umbau und die Sanierung des historischen Gebäudes nach drei Jahren Bauzeit abschließen konnte. 50 Millionen Euro hat die Stadt Düsseldorf investiert. 5.000 Quadratmeter Sammlungsrundgang wurden neu gestaltet. Wechselausstellungen wie Sammlung sind nun gleichermaßen über den Haupteingang und das zentrale Foyer erreichbar. Auch die Museumsgastronomie wurde runderneuert und dafür der Torbau durch eine Verglasung geschlossen. Der Kunstpalast ist nicht Siebers erstes Museumsprojekt. Unter anderem hat sein Büro die Ausstellungsräume für die Sammlung Philara in der ehemaligen Glasfabrik an der Birkenstraße geschaffen. Ein Gespräch über die Kunst des Weglassens und Düsseldorfs Weltoffenheit.
Nach Ihrem Studium, unter anderem an der Düsseldorfer Kunstakademie, haben Sie nicht nur für Paul Schneider-Esleben, sondern auch für Oswald Mathias Ungers gearbeitet. Auf ihn geht der Neubau des Ausstellungsflügels zurück – vom neobarocken Vorgängerbau steht heute nur noch die denkmalgeschützte Fassade. Haben Sie einen Faden wieder aufgenommen?
Ungers hatte mir zunächst die Projektleitung für die Erweiterung der Hamburger Kunsthalle übertragen. 1995 gewann er den Wettbewerb für die Neugestaltung des Kunstpalastes und auch hier hätte ich Projektleiter werden sollen. Doch zugunsten der Familienplanung habe ich verzichtet und 1996 mein eigenes Büro gegründet. Meine Frau und ich haben uns bei Ungers kennengelernt und streng genommen arbeitet sie immer noch für ihn, da sie neben unserem Architekturbüro das Ungers Archiv für Architekturwissenschaft leitet. Insofern gab es da eine Kontinunität, und es ist natürlich schön, nach so langer Zeit zurückzukommen und wieder im Thema zu sein.
Was sofort ins Auge springt: Der Kunstpalast hat nur noch einen Eingang. Damit endet die Ära der zwei Eingänge, jenem zum Ausstellungsflügel und einem zweiten zum Sammlungsflügel. Heute nutzen die Besucher*innen geschlossen den einstigen Haupteingang. Im Foyer des Ausstellungsflügels startet dann im ersten Obergeschoss der Rundgang durch die Sammlung. Als Besucherin stelle ich fest: Alles ist neu und wirkt doch so, als sei es nie anders gewesen. War das Ihr Ziel?
Ganz genau. Die Kernfrage war: Wie schaffen wir es, die Sammlung als das zu präsentieren, was sie ist? Etwas ganz Besonders. Der Kunstpalast ist bekannt für seine großen Wechselausstellungen. Doch dass es eine superbreit aufgestellte Sammlung gibt, war nicht mehr Teil des öffentlichen Bewusstseins. Zum einen sicher deshalb, weil im Sammlungsflügel das zweite Obergeschoss jahrzehntelang nicht genutzt werden konnte – dort gab es nach der letzten Sanierung dauerhaft Probleme mit Kondenswasserbildung. Zum anderen kenne ich persönlich kein Museum, das mehr als einen Eingang besitzt und wirklich gut funktioniert. Für uns stand nicht nur fest, dass der Sammlungsrundgang am gleichen Ort starten sollte wie die Wechselausstellungen: im Foyer im Ungers-Bau. Der Rundgang sollte auch erkennbar einheitlich sein und zugleich sollten die unterschiedlichen baulichen Phasen sichtbar bleiben. Ursprünglich bestand die heutige Dreiflügelanalage aus zwei Häusern: dem Kunstpalast an der Stelle, wo sich nun der Ungers-Bau befindet, und dem Kunstmuseum von Wilhelm Kreis. Diesem Ursprungsbau wurde in den 1980er Jahren durch Helmut Hentrich ein zweites Obergeschoss hinzugefügt. Wir wollten die Geschichte weitererzählen und nicht irgendetwas neu erfinden.
Was waren die größten Herausforderungen? Wie sind Sie beispielsweise mit der monumentalen Bauweise, dem Erbe des Expressionismus, umgegangen?
Wilhelm Kreis ist derjenige, der die Grundlagen gelegt hat, an denen wir nicht vorbeikommen und gegen die wir weder hätten arbeiten können noch wollen. Dieses Haus galt mal als das modernste Museumsgebäude Deutschlands. Kreis hat zum Beispiel sehr innovativ mit unterschiedlichen Belichtungsszenarien gearbeitet. Auch die Idee, industrielle Elemente wie Oberlichter einzubauen, stammt von ihm. Und es gab dieses strenge Raster. Was wir vorgefunden haben, war für uns keine Belastung – im Gegenteil, wir hatten einen gut gesetzten Rahmen. Eines wurde uns allerdings erst in voller Tragweite bewusst, als wir uns zu Beginn des Projekts im Stadtarchiv die alten Unterlagen angesehen haben: Das Gebäude wurde 1926 anlässlich der anstehenden GeSoLei (die große Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübung) innerhalb von weniger als einem Jahr hochgezogen. Das sieht man ihm von außen nicht an, doch tatsächlich ist jede Ecke anders gebaut und jede hatte andere Mängel.
Im Belvedere, das die beiden Flügel verbindet, gab es solche Probleme mit der Statik, dass im ersten Obergeschoss Absperrseile die Besucher*innen daran hindern mussten, sich allzu weit von der Raummitte zu entfernen. Heute ist es ein Raum mit gemütlichen Sitzecken, der durch die Zwillingspfeiler aus Backstein strukturiert wird. Die tiefen Fenster gestatten einen Blick über den gesamten Ehrenhof bis hin zur Tonhalle. Eine Etage tiefer ist das Restaurant Anna Maria eingezogen. Um die Räumlichkeiten dafür zu schaffen, wurde der einstige Zugang zum GeSoLei-Messegelände verglast.
Die Museumsgastronomie war das zweite zentrale Thema beim Umbau des Kunstpalastes. Ein Haus dieser Größenordnung braucht einfach eine funktionierende Gastronomie, und die gibt es nur dann, wenn sie auch für Publikum von außen zugänglich ist. Dadurch, dass der Durchgang mit dieser sehr transparenten Verglasung geschlossen wurde, bekommt der Ehrenhof als Innenhof eine ganz andere räumliche Wirkung. Ich glaube, das ist das größte Plus, dass die Museumsgastronomie nicht nur das Haus selbst belebt, sondern den ganzen Ort. Und der Raum oben im Belvedere, das ist ein so toller Raum – ich bin ein bisschen neidisch auf denjenigen, der ihn 1926 wirklich erfunden hat.
Die neu gestalteten Museumsräume zeichnen sich durch ihre Zurückgenommenheit aus – und gerade deshalb gibt es Originelles zu entdecken. Wie die Notausgangsschilder, die nur bei gegebenem Anlass grün leuchten. Weniger dezent sind die neuen skulpturalen Wendeltreppen. Wollten Sie sich hier als Architekt verewigen?
Bei einem Projekt wie diesem geht es darum, die Details immer weiter zu reduzieren und sich dann zu fragen: Wie viel können wir noch wegnehmen, ohne dass es banal wird? Da die Ausstellungsarchitektur nicht selbst in den Vordergrund treten soll, gilt es zu überlegen: An welchen Stellen setzt man welche Signale? Die Wendeltreppe im Rubenssaal zum Beispiel ist im Lauf des Entwurfsprozesses einmal durch den ganzen Raum gewandert und sie hatte alle möglichen Formen – diese Treppe ist entscheidend, damit die Leute dem Parcours folgen und nicht in die falsche Richtung laufen.
Im zweiten Obergeschoss des Belvedere wurde die legendäre Düsseldorfer Künstlerkneipe Creamcheese detailgetreu rekonstruiert. Der Raum ist Teil der Ausstellung und freitags wie samstags nach Museumsschluss wird er zur realen Bar. Waren Sie in die Wiederbelebung der Creamcheese-Bar involviert und waren Sie schon mal privat zu Gast?
Ja klar war ich hier schon etwas trinken, es ist meine Musik, und wir waren auch an der Rekonstruktion beteiligt. Das Original an der Neubrückstraße habe ich nicht mehr mitbekommen – ich bin erst 1983 nach Düsseldorf gezogen. Doch es gibt Fotos und die alten Planunterlagen von Heinz Mack, außerdem viele Originalteile . Anderes haben wir nachgebaut, zum Beispiel die Mack-Theke aus Stahlblech. Dazu haben wir uns selbstverständlich mit ihm ausgetauscht.
Welche Bedeutung hat die Kunst für die Stadt Düsseldorf?
Das kann man gar nicht überschätzen. Die Kunst und die Stadt – das ist wie ein Paar, das zusammengehört. Allein die Tradition mit Anna Maria de Medici und Jan Wellem, der Düsseldorfer Malerschule, der Kunstakademie – die Kunst bringt die Weltoffenheit in die Stadt. Sie bringt diese Weite und das Gefühl, tatsächlich nah am Zeitgeschehen zu sein. Was Düsseldorf als Stadt dieser Größe kulturell zu bieten hat, das ist schon einzigartig, nicht nur in Deutschland, sondern europa-, wenn nicht weltweit. Meine Frau und ich kosten das vielfältige Angebot voll aus. Ich bin ja nicht von hier, aber ganz großer Düsseldorf-Fan und liebe natürlich auch das liberale Rheinland. Leben und leben lassen. Ich kenne viel von der Welt, aber das Rheinland ist eine der offensten Gegenden, die es gibt.
Interview: Eva Westhoff
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von Joachim Sieber und Kunstpalast.