„Wenn ich einem wichtigen König im Hermelinmantel, der sich aber sehr toxisch präsentiert, ein lächerliches Hütchen aufsetze, dann kollabiert seine Attitüde sofort.“
In einem Hinterhof in Bilk liegt das Atelier von Volker Hermes. Dort entstehen auch seine „„Hidden Portraits““, die Thema seines ersten Buches sind, das im Oktober weltweit auf vier Sprachen erscheint. Ein entscheidender Faktor für seinen internationalen Erfolg ist Instagram. Dabei hielt Volker Hermes die Social-Media-Plattform lange für „den Untergang des Abendlandes“. Eine gute Freundin überredete ihn 2020, ein Profil auf Instagram anzulegen. Dann kam Corona, und der Düsseldorfer Künstler hatte in wenigen Wochen Tausende neue Follower*innen aus der ganzen Welt. Inzwischen arbeitet Volker Hermes mit einer Galerie in London, hat Ausstellungen in Italien und wurde vom Metropolitan Museum und dem Auktionshaus Christie’s in New York gefeatured. Wir haben Volker Hermes in seinem Atelier in Bilk besucht, wo er uns erzählte, wie es war, als ihn die amerikanische Vogue anschrieb und was sich hinter „„Hidden Portraits““ verbirgt.
Volker, dein Atelier liegt in Bilk und du lebst schon seit vielen Jahren in Düsseldorf. Wie bist du in die Landeshauptstadt gekommen?
Ich bin nicht weit von hier in einer kleinen Stadt großgeworden, aber nach der Schule nach Düsseldorf gezogen, um an der Kunstakademie zu studieren. Ich war in der Klasse von Dieter Krieg, bin sein Meisterschüler geworden und in der Stadt geblieben – ich mag es hier!
Das ist schon einige Jahre her, was passierte nach deinem Abschluss?
Ich habe im Jahr 2002 die Akademie beendet. Die letzten zwanzig Jahre habe ich komplett meiner Kunst gewidmet, und zwar mit allen Konsequenzen. Natürlich habe ich regelmäßig ausgestellt, aber wie viele andere Künstler*innen bin ich mit meiner Arbeit irgendwie durch ein Raster gefallen, die Wahrnehmung war nicht groß. Trotzdem habe ich weitergearbeitet. Rückblickend gibt mir das Wissen, dass ich trotz schwieriger Umstände immer weiter Kunst mache, sehr viel Kraft.
Was hat dich motiviert, bei der Kunst zu bleiben?
Ich habe zwei Konten in meinem Leben: das Kunstkonto und das Marktkonto; wirklich wichtig ist für mich das mit der Kunst. Wenn es gefüllt ist und ich das Gefühl habe, dass ich noch im Dialog mit meiner Arbeit bin, mache ich weiter. Natürlich ist es auch toll, wenn viel auf dem Marktkonto ist – letztendlich zählt aber die Kunst.
Mir war es zudem immer wichtig, dass die Nebenjobs, die ich zur Finanzierung meines Lebens gemacht habe, mir etwas gebracht haben. Über sie habe ich versucht, mir neue Welten zu erschließen – wie die der Oper und des Theaters. Ich habe zum Beispiel in einer Werkstatt für Opernkostüme im Büro gearbeitet. In dieser Zeit habe ich viel darüber gelernt, wie historische Kleidung funktioniert, was sich bis heute in meiner Arbeit widerspiegelt und mich sehr geprägt hat.
Nach einigen sehr herausfordernden Jahren kam im Jahr 2020 plötzlich die Wende: Während der Corona-Pandemie hast du dich auf Instagram registriert – was genau ist passiert?
Ich hatte Instagram immer für den Untergang des Abendlandes gehalten und war deshalb dort nicht aktiv. Bis mir eine Freundin ans Herz legte, ich solle mir endlich ein Profil anlegen, was ich auch tat. Zunächst passierte relativ wenig. Ich habe ein paar Gemälde hochgeladen, aber auch Arbeiten aus meiner Serie „„Hidden Portraits““, für die ich auf historischen Gemälden die Porträtierten mit Masken und anderen Dingen verhülle. Dieses Thema bearbeite ich bereits seit fünfzehn Jahren − nur plötzlich bekamen die Masken wegen Corona eine ganz andere Konnotation. Und da in der Pandemie die meisten Kunsthistoriker*innen zuhause saßen und offensichtlich viel bei Instagram unterwegs waren, entstand plötzlich eine unfassbare Dynamik, eine Riesenwelle, die auf mich zurollte.
Wie sah diese Welle aus?
Begonnen hat alles im März 2020 und schon ein paar Monate später hatte ich eine Museumsausstellung in Italien, das New Yorker Auktionshaus Christie’s rief an und die amerikanische Vogue schrieb mir, sie wolle ein Interview mit mir machen. Magazine aus der ganzen Welt meldeten sich, das war natürlich wahnsinnig aufregend – und ich hatte trotz Lockdown plötzlich sehr viel Arbeit.
Derzeit hast du bei Instagram 112.000 Follower*innen – und zwar weltweit. Wie fühlte sich das an, in Bilk während Corona im Atelier zu sein und plötzlich dermaßen viel Aufmerksamkeit zu bekommen?
Mir ist das Herz aufgegangen. Die Reaktionen auf Instagram haben mir gezeigt, dass es eben nicht nur eine lokale Blase gibt, sondern sehr viele Menschen auf der ganzen Welt meine Arbeit unterstützen. Aber wenn dir so etwas im Alter von Ende 40 passiert, bist du natürlich erst einmal skeptisch.
Worauf bezog sich diese Skepsis?
Zum einen musste ich klarmachen, dass meine Arbeit natürlich viel mehr ist, als ein Maskenthema und ich fragte mich auch, wie ehrlich und nachhaltig das Interesse der Menschen war, die ich plötzlich kannte. Wie real ist Instagram? Um das herauszufinden, habe ich ein ziemlich verrücktes Experiment gewagt und eine Art Party in New York veranstaltet, wo ich ziemlich viele Unterstützer*innen habe. Das Wunderbare war, dass die Kurator*innen der großen Institute wie der Metropolitan Museen und Frick Collection, aber auch die Sammler*innen von Instagram tatsächlich zur Party erschienen sind. Es war alles echt, und ich habe zehn Tage eine tolle Zeit mit Menschen verbracht, die ich zuvor nur über Instagram kannte.
Du hast bereits über dein Projekt „„Hidden Portraits““ gesprochen, bei dem du historische Porträts bearbeitest. Wie genau gehst du dabei vor?
Die „„Hidden Portraits““ sind mein Nachdenken über Malerei und ihre gesellschaftlichen Bezüge. Die Porträtmalerei habe ich mir ausgesucht, weil sich an ihr besonders zeigt, wie sich unsere Rezeption, unser Zugang zu dieser Art der Malerei verengt hat. Unsere heutige Gesellschaft ist sehr individualisiert, dementsprechend schauen wir sehr individuell auf das Persönliche dieser Porträts: Wer ist dieser Mensch, ist er oder sie sympathisch, ist es ein Duke oder eine Königin? Mich interessiert aber mehr, welche Gesellschaft in diesen Porträts abgebildet wird, was sie repräsentiert und wie sich die porträtierten Menschen Malerei nutzbar machten. Wenn ich einem Porträt unseren gewohnten Fokus nehme, das Persönliche verhülle, kann ich durch die Irritation einen ganz neuen Zugang zu diesen alten Meistern schaffen. Da ich aber keine alte Malerei nachmalen wollte, kam mir die Idee, dazu Bildbearbeitungsprogramme zu nutzen, um mit den Elementen des Gemäldes die abgebildete Person zu verhüllen.
Du nimmst also einzelne Teile des Gemäldes und baust daraus digital eine Gesichtsverhüllung oder eine Kopfbedeckung.
Genau, ich benutze Fotos von Gemälden, schneide einzelne Elemente aus und baue sie durch Bildbearbeitung neu zusammen. So versuche ich, heutige Ideale, Denkweisen und Metaphern unterzubringen. Das ist ein Versuch der Kontextualisierung alter Kunst aus heutiger Sicht, also eine Neuinterpretation, die sich plausibel in das Original einfügen soll. Zum Beispiel ist unser Männlichkeitsbild, aber auch die Sicht auf Frauen heute ein ganz anderes als einige Extreme, die in diesen Bildern vorkommen: Die unwidersprochene Macht von Männern zum Beispiel, aber auch das Ausgeliefertsein und die Reduzierung auf eine dekorative Funktion bei den Frauen.
Versuchst du, diese Rollenbilder umzudrehen?
Ja − und sie zu übertreiben. Die Frauen werden beispielsweise zugehängt mit Schmuck, so dass man das Gefühl bekommt, sie würden darunter ersticken. Damit möchte ich zeigen, dass sie in diesen Gesellschaften keine Wahl hatten. Oder ich versuche, bestimmte damals übliche Männlichkeitsformen ins Lächerliche zu ziehen.
Du möchtest also Geschlechteridentitäten aufweichen?
Neben Repräsentation und Relevanz alter Kunst ist das definitiv mein Hauptthema, dass auch gesellschaftlich gerade viele Menschen umtreibt. Es gibt viel mehr als das, was in den Normen festgelegt ist, und daher finde ich es gut, wenn unsere Wahrnehmung erweitert wird. Das versuche ich auch in die alten Meister zu adaptieren, sie also in einen aktuellen Diskurs mitzunehmen. Letztlich ist das ja grandiose Kunst, die uns heute noch viel sagen kann.
Du arbeitest mit sehr viel mit Humor, entwirfst Masken oder Accessoires, die die Betrachter*innen zum Lachen bringen. Warum?
Humor ist ein scharfes Schwert, mit dem ich viele Dinge sehr schnell verdeutlichen kann. Wenn ich einem wichtigen König im Hermelinmantel, der sich aber sehr toxisch präsentiert, ein lächerliches Hütchen aufsetze, dann kollabiert seine Attitüde sofort. Abgesehen davon laufe ich immer Gefahr, didaktisch zu werden, irgendetwas erklären zu wollen. In mir sitzt sozusagen ein kleiner Lehrer, und ich möchte nicht, dass er herauskommt. Deshalb arbeite ich gerne mit Humor, der sehr undidaktisch ist.
Deine Arbeiten sind derzeit vor allem international zu sehen, und du bist Teil von zahlreichen Projekten. Kannst du uns einige nennen?
Ich hatte Ausstellungen in Museen in Italien und England, oder auch im polnischen Nationalmuseum in Wroclaw. Ich habe mit Christie’s in New York und der James Freeman Gallery in London zusammengearbeitet. In Deutschland war ich recht aktuell mit einer Einzelausstellung im Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen zu sehen. Außerdem werde ich gerade zu vielen Projekten eingeladen, zum Beispiel von der National Gallery in London. Und ich werde immer wieder zur Wirkung von Porträtmalerei und ihrem Stellenwert für heutige Künstler*innen befragt.
Du hast nicht nur viel internationale Presse, bald erscheint ein Buch von dir bei Elisabeth Sandmann/Suhrkamp. Worum geht es?
Das Buch ist sicherlich eins der größten Projekte in diesem Jahr. Es wird im Oktober weltweit erscheinen und in vier Sprachen übersetzt. Neben Elisabeth Sandmann/Suhrkamp, die die deutsche Version herausbringen, wird es noch einen britisch-amerikanischen und einen italienisch-französischen Verlag geben. Thema sind die „„Hidden Portraits““.
Trotz der weltweiten Ausstellungen und der großen internationalen medialen Aufmerksamkeit bleibst du in Düsseldorf. Wo trifft man dich, wenn du gerade nicht auf Reisen bist?
Ich arbeite sehr viel und bin nicht wirklich ein Naturmensch, trotzdem ist der Rhein für mich sehr wichtig, dorthin gehe ich öfter und schaue aufs Wasser. Ansonsten sitze ich gerne in Cafés, zum Beispiel auf der Terrasse von Bedri’s Trinkhalle oder bei L’odorino, beide in Bilk.
Weitere Informationen unter volkerhermes.de.
Interview: Katja Vaders
Fotos: Kenny Tran
Kunstwerke: mit freundlicher Genehmigung von Volker Hermes