
Nidus − Annelen Schmidt-Vollenbroich und Ana Vollenbroich über Architektur, Klarheit & Wärme
Interview
„Düsseldorf ist sehr international im Verhältnis zu seiner Größe“
Nidus – der Begriff stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Nest“. Diesen poetischen Namen wählten die Juristin Ana Vollenbroich und die Architektin Annelen Schmidt-Vollenbroich, als sie 2016 ihr Architekturbüro Nidus gegründeten. Offenheit, Unternehmergeist, eine große Portion Mut und guter Geschmack sind die Eckpfeiler, auf denen das Unternehmen ruht. Das Paar hatte sich bei einem Aufbaustudium der Immobilienökonomie in Frankfurt am Main kennengelernt. Durch einen privaten Kontakt gelang es Ana und Annelen zwei benachbarte Jahrhundertwendehäuser in Kaiserswerth zu erwerben. Sie bauten die Häuser um und verkauften sie wieder – Nidus war geboren. Inzwischen entwickeln die beiden nicht nur außergewöhnliche Immobilien, sie bauen und sanieren auch selbst, entwerfen Möbel, betreiben eine Galerie und engagieren sich für Kunst und Kultur. In diesem Jahr wurde Nidus vom Magazin Architectural Digest in die internationale Liste der 100 wichtigsten Gestalter*innen aufgenommen. Ein Ritterschlag.

Die Projekte, die man auf eurer Website sehen kann, bewegen sich fernab des Mainstream-Wohnungsbaus. Nach den ersten beiden Häusern in Kaiserswerth habt ihr ein Gebäude aus der Nachkriegszeit an der Schillerstraße gekauft, der Architekt war Bruno Lambart. Was hat euch an diesem Objekt gereizt?
Annelen: Die verborgene Schönheit. Ein Jahrhundertwendegebäude, das empfindet eigentlich fast jede*r als schön, während in der Nachkriegsmoderne die Schönheit erst im Kontext deutlich wird. Wie viel Kraft musste die Gesellschaft aufbringen, um die zerstörten Städte wieder aufzubauen? Dieser Wert steckt auch in den Gebäuden. Und dann interessiert uns diese Zeit auch aus architekturhistorischer Sicht: Man konnte sich stilistisch nicht auf die vergangenen 30 Jahre berufen. Wo wurden also Anleihen gemacht? Bruno Lambart hat sich beispielsweise an den USA orientiert. Deswegen sieht das Haus an der Schillerstraße nicht aus wie ein typisches Wohnhaus der 50er-Jahre. Es hat eine große Fensterfront zur Straße. Es war ungewöhnlich und progressiv für die damalige Zeit, so exponiert zu leben.

Ana: Zu der Zeit, als wir das Haus kauften, hatten wir einen Lehrauftrag an der Universität in Siegen. Über drei Semester haben wir mit den Studierenden 70 Häuser in Düsseldorf fotografiert und katalogisiert. Und zwar nicht die Gebäude, die alle kennen, sondern die Alltagsarchitektur, die gebaute Masse, die stark zur Identität der Stadt beiträgt. Aus dieser Arbeit ist wiederum unsere Idee für die Architekturgalerie entstanden. Wir sind quasi als Unbekannte nach Düsseldorf gekommen, haben erst mal so ein bisschen im Verborgenen gearbeitet und hatten schließlich die Idee mit der Galerie. Das wurde so gut angenommen! Es liegt vielleicht daran, dass in Düsseldorf das Konzept Galerie sehr in den Alltag integriert ist und im Vergleich zu anderen Städten eher schwellenlos funktioniert. Die Düsseldorfer sind neugierig, sehr kommunikativ und am Austausch interessiert.
Seit der Arbeit am Bruno-Lambart-Haus gestaltet ihr Möbel.
Annelen: Wir haben von Bruno Lambarts Witwe all seine Tuschezeichnungen bekommen. Er hat die Einrichtung selbst entworfen, darunter auch eine Lampe, die man auf einem Foto mit ihm sieht. Angelehnt an diesen Entwurf haben wir unsere Lampe entwickelt und uns vorgenommen, pro umgebautes Objekt ein Möbelstück zu gestalten – als Botschaft unserer Arbeit an den Häusern. Unsere Projekte dauern zwischen drei und vier Jahren. Und weil viel Herzblut hineinfließt, ist es uns oft schwergefallen, die Häuser wieder gehen zu lassen. Diese Möbelstücke sind der Teil des Projekts, den wir behalten können. Sie werden auf Anfrage in Düsseldorf produziert.
Ana, du bist Juristin, und du Architektin, Annelen. Wie ergänzt ihr euch?
Ana: Eigentlich sind Jura und Architektur in unseren Augen gar nicht so weit voneinander entfernt. Beide Disziplinen versuchen, das Zusammenleben von Menschen zu regeln und zu gestalten. Jura entwirft den Regelkanon, den moralischen Kompass und die Architektur, den räumlichen Kontext, wie Leute zusammenkommen, wo und unter welchen Umständen.


Gerade saniert ihr eine Kirche aus den 70er-Jahren an der Ottostraße in Gerresheim, in die ihr selbst einziehen möchtet. Wie findet ihr solche Objekte?
Ana: Die Kirche haben wir bei ImmoScout gefunden. Wir haben die Neuapostolische Gemeinde angeschrieben und man sagte uns, dass es sich um ein Bieterverfahren handle. Es waren noch drei Tage bis zur Einreichung des Gebots und wir waren nicht in der Gegend. Also haben wir einen Mitarbeiter von uns hingeschickt, um Fotos zu machen und unser Gebot abgegeben. Zwei Wochen später kam der Anruf: ‚Herzlichen Glückwunsch, Sie haben die Kirche erworben.‘
Ihr habt sie gekauft, ohne sie gesehen zu haben? Das nenne ich Risikobereitschaft. Düsseldorf hat viele Nachkriegsgebäude, das dürfte euch, die ihr mehrheitlich im Bestand arbeitet, entgegenkommen. Gibt es weitere Faktoren, die Düsseldorf als Firmensitz für euch interessant machen?
Annelen: Wir empfinden Düsseldorf als sehr lebenswert. Die Stadt ist sehr international im Verhältnis zu ihrer Größe. Man hört viele Sprachen und hat das Gefühl, dass die Welt zu Gast ist. Außerdem ist man in zwei Stunden in Antwerpen oder in Amsterdam.
Ana: Auch den japanischen Einfluss finden wir toll und architektonisch inspirierend. Und die Kunstakademie, die interessante Leute anzieht. Düsseldorf ist eine offene Stadt. Und nicht zuletzt ist die Kombination aus Kultur und Wirtschaft einzigartig. Das sind keine Parallelgesellschaften, die nichts miteinander zu tun haben wollen, vielmehr arbeitet man zusammen. Ein schönes Sinnbild dafür ist der Gustaf-Gründgens-Platz. Dort treffen Kultur und Wirtschaft städtebaulich aufeinander und ergeben ein eindrückliches Gesamtbild. Das ist für mich die DNA von Düsseldorf, der Kern, die Keimzelle.

Euren Stil kann man als poetische Klarheit beschreiben, im Spannungsfeld von Sinnlichkeit und Strenge. Eure Materialien sind natürlich und sinnlich und die Formensprache ist streng. Welche Philosophie steckt dahinter?
Annelen: Wir sind ja deutsch. (Lacht.) Nein, im Ernst: Ich bin immer auf der Suche nach Klarheit. Die Schönheit im Wesentlichen, im Einfachen zu entdecken, kann so anziehend sein. Ich komme aus der klassischen Architektur und es ist mir ein Anliegen, dass der Architektur eine starke gestalterische Komponente innewohnt. Allerdings schaffen und gestalten wir Bühnen für das Leben, das naturgemäß einem stetigen Wandel unterliegt. Insofern finde ich, dass sich die Architektur nicht aufdrängen, aber auch nicht verstecken soll. Mit einer klaren, aber ikonischen Formensprache kreieren wir starke Identitäten. Trotzdem entwerfe ich aus dem Bauch heraus. Entwerfen ist für mich ein sehr emotionaler Prozess, ich kann gar nicht anders.
Ana: Es mag sein, dass wir in Deutschland manchmal eine Tendenz dazu haben, zu nüchtern zu sein. Ich meine, es ist auch ein Teil der deutschen DNA im Design und in der Architektur. Aber es braucht eine schöne Haptik, etwas Emotionales. Die Materialien sind bei uns immer von hoher Qualität, sodass sie schön altern und Patina bekommen, man soll sie gerne anfassen. Bei aller Klarheit muss Wärme da sein.

Wohin geht ihr in Düsseldorf, wenn ihr abschalten möchtet?
Annelen: In den Wald! Als ich hierherzog, war mir gar nicht bewusst, dass es in unmittelbarer Nähe zur Stadt ein großes zusammenhängendes Waldgebiet gibt. Am Wochenende gehen wir mit unseren zwei Hunden auch oft in Hubbelrath und im Rotthäuser Bachtal spazieren.
Welche Orte in Düsseldorf zeigt ihr Freund*innen, die zu Besuch kommen?
Annelen: Den Ehrenhof, die Tonhalle, die Kunstakademie, das Dreischeibenhaus, das Schmela Haus, die Königsallee, für uns ein städtebauliches Meisterwerk, das nach wie vor gut funktioniert und hochfrequentiert ist. Was viele nicht kennen, ist das Stummhaus an der Breite Straße. Das ist eines der schönsten Häuser von Paul Bonatz.
Ana: Ja, das war für mich auch schon immer das schönste Gebäude. Backstein-Expressionismus! Du musst einmal darauf achten: Die Verfugung im Backstein ist unterschiedlich. Einmal tiefer, einmal weniger tief. Dadurch entsteht ein Relief. Als ich noch als Juristin arbeitete, hatte ich ein Bewerbungsgespräch bei einer Kanzlei, die ankündigte: ‚Wir ziehen demnächst ins Stummhaus um.‘ Und ich nur: ‚Ok, wo muss ich unterschreiben?‘ Das hätte mir damals die Augen dafür öffnen können, dass meine eigentliche Liebe der Architektur gilt.
Text: Ilona Marx
Interviewfotos: Markus Luigs
& weitere Motive zur Verfügung gestellt von Nidus