Künstlerin Anys Reimann im Bilker Bunker, im HIntergrund unscharf zu lesen: Ausgang in Orange.

„Dark Star Backyard“ im Bilker Bunker – Künstlerin Anys Reimann über Identität, Träume & Genuss

Interview

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„Ich kann nicht aufhören, Fragen zu stellen“

Im Bilker Bunker zeigt die Künstlerin Anys Reimann ihre Ausstellung „Dark Star Backyard“. Für die Künstlerin spielt Düsseldorf eine zentrale Rolle in ihrem Werdegang. Sie absolvierte ihr Studium an der renommierten Kunstakademie und wurde 2023 mit dem Förderpreis für Bildende Kunst der Stadt ausgezeichnet. Die 1965 geborene Künstlerin, die seit ihrer Kindheit in Düsseldorf lebt, hat sich als eine der spannendsten Stimmen der zeitgenössischen Kunst etabliert. Mit ihren vielschichtigen Werken, die Collagen, Skulpturen und Malerei umfassen, erforscht Reimann Themen wie Identität, Fremdzuschreibung und Körperlichkeit. Ihr Leitmotiv „Layers of Meaning“ spiegelt sich in ihrer Kunst wider, die persönliche Erfahrungen mit kollektiven Geschichten verwebt. Als Tochter einer Deutschen und eines Westafrikaners setzt sich Reimann intensiv mit ihrer Identität als „Afropäerin“ auseinander. Ihre Werke dekonstruieren gesellschaftliche Annahmen und eröffnen neue Perspektiven auf Geschlecht, Sexualität und kulturelle Zugehörigkeit.

Dein Werdegang ist ausgesprochen abwechslungsreich. Wie hast du zur Kunst gefunden?
Ich wollte immer nur Künstlerin werden. Mein Vater war freiberuflicher Fotograf und ich habe fotografiert und collagiert, seitdem ich denken kann. Als ich damals meiner Mutter von meinem Berufswunsch erzählt habe, antwortete sie nur: „Es gibt keine schwarzen Künstlerinnen!“. Das war der Auslöser einer sehr langen Suche danach, wie ich mich ausdrücken kann: Ich wurde Maskenbildnerin, habe ein Buchbinderpraktikum gemacht, eine Schreinerlehre, habe Möbelrestauration gelernt, Innenarchitektur studiert und als selbstständige Produktdesignerin gearbeitet. Zwischendurch bin ich mit dem Zirkus Roncalli durch Deutschland gereist und habe Requisite und Garderobe gemacht. Schließlich bin ich wieder nach Düsseldorf zurückgekehrt.

Nach diesen ganzen Stationen hast du letztendlich doch an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert. Wie kam es dazu?
Ich hatte immer viel mit Künstler*innen zu tun, war mit ihnen befreundet. Mit 18 bin ich an der Kunstakademie zunächst abgelehnt worden, und habe anschließend die Malerei und Collagen zunächst nur für mich betrieben. Freund*innen haben mich ermutigt, meine Kunst auch zu zeigen. 2011, als meine Kinder groß genug waren, wollte ich einfach nochmal wissen, ob ich künstlerisch auf dem richtigen Weg bin und habe mich nochmal an der Kunstakademie beworben. Diesmal mit Erfolg.

Gab es einen bestimmten Moment, in dem du begriffen hast: Jetzt bin ich Künstlerin?
Nach meinem Abschuss an der Kunstakademie sagte Professorin Ellen Gallagher zu mir: Du portraitierst das Leben. Das war wie ein Geschenk für mich. Ein Augenöffner. Bis dahin habe ich Kunst intuitiv gemacht, aber das war der Moment der Bewusstwerdung. Ich brauchte diese Definition, aus der tiefen Verunsicherung heraus, die meine Mutter mir unbedacht mitgegeben hatte. Das saß schon tief. Aber es hat mich nicht abgehalten. Meine Resilienz ist stärker und ich habe meinen Weg gefunden.

In dem Fokus deiner Kunst steht der Körper. Was möchtest du mit deinen Werken ausdrücken?
Ich beschäftige mich mit dem Körper, mit Menschsein. Ich bemühe mich, auf die verschiedenste Art und Weise Geschehnisse auseinander zu nehmen, Geschichten und Menschen zu sezieren und obduzieren und neu zusammenzusetzen, um eine andere Art des Sehens herauszufordern. Ich arbeite mit Fragmentierung und Dekonstruktion, um letztendlich Komposition und Neuschöpfung zu erlangen. Es ist ein spielerisches und unheiliges Tun. Ich schmeiße in jeglicher Hinsicht Dinge durcheinander.

Du bist Bildende Künstlerin, Bildhauerin, Malerin und arbeitest mit Collagen – und vieles mehr. Wie würdest du deinen Schaffensprozess beschreiben?
Ich bin weiß und schwarz, also verwende ich verschieden farbige Körperteile. Ich benutze alte Geschichten, um die heutige Zeit auf meine magisch-realistische Art und Weise darzustellen. Das hat sich über die Jahre sehr organisch ergeben. Dass ich aus dem Bildhauerischen, Objekthaften, Materiellen kommend in die Malerei gelangt bin und sich nun alles zusammenfügt, entspricht meinem Leben. Meine Collagen entsprechen mir selbst. Ganz natürlich. Wie einatmen und ausatmen.

Man sieht die gestikulierenden Hände von Anys Reimann, die tätowiert sind.

Wie stößt du auf deine Themen?
Oft lese ich etwas und habe Ausschnitte daraus im Kopf, fahre ins Atelier und wühle in meinem Collagenarchiv aus Körperteilen. Manchmal habe ich schon ein Bild im Auge. Manchmal lese ich nur ein bestimmtes Wort, das mir ins Auge springt. Ich fange dann an es zu recherchieren, kunsthistorisch und materiell. Ich wäre am liebsten auch Archäologin geworden. Bei mir steht immer die Frage „Warum?“. Dieses kindliche „Wieso?“, das lässt mich nicht los. Ich kann nicht aufhören, Fragen zu stellen. Ich verwende Zeichen und Codes, die allen zugänglich sind, aber die ich zu neuen Objekten und Bildern verknüpfe.

Wie blickst du als Künstlerin auf Düsseldorf?
Ich bin die ersten vier Jahre meines Lebens in Duisburg aufgewachsen und dann mit meinen Eltern nach Düsseldorf gezogen. Düsseldorf hatte früher mehr Individualität, es war unmittelbarer, offener und freier als heute. Diese Rauheit wurde institutionalisiert. Heute gleicht Düsseldorf eher einem Boutiquehotel. Aber ich liebe meine Heimatstadt.

Welche Orte in Düsseldorf haben eine spezielle Bedeutung für dich?
Wenn ich Ruhe haben will, dann gehe ich mittags in den Volksgarten oder den Botanischen Garten. Ich liebe den Rhein. Gerade entdecke ich auch den Stadtteil Lierenfeld neu, wo mein Atelier ist. Viele Leute fahren in den lang ersehnten Urlaub, um dann zu sagen: „Ist das hübsch authentisch hier mit den Einheimischen vor ihren Häusern.“ Ich mache das lieber in Düsseldorf vor meinem Haus und trinke ein Glas Wein oder sitze mit Freund*innen vor der Fromagerie in Unterbilk zwischen Kräuterrabatten und Blumen im Topf. Basic finde ich am schönsten.

Links ein kleines Bild und im Hintergrund eine tief schwarze Skulptur.

Wo trifft man dich – außer im Bilker Bunker – noch in Düsseldorf?
Bei Konzerten im Zakk genauso auf der Ratinger Straße, wo ich früher auch mal gekellnert habe. Oder in der Brasserie Hülsmann in Oberkassel, wo das Essen toll ist und ehemalige Gastro-Kolleginnen arbeiten. Oder in der Akro, wo ich auch im Winter schlotternd draußen sitze. Ich liebe die Atmosphäre in Kombination mit gutem Essen in der Bar Olio oder dem Em Brass. Neuerdings gehe ich rasend gerne in das Forum an der Lorettostrasse. Das haben fünf junge Männer aufgemacht, Freunde meiner Söhne. Wenn ich völlig fertig bin, falle ich dort nieder und esse die genialste Pizza: Comté mit Fenchel oder gebratene Makrele und dazu einen Prosecco vom Fass.

Hat du ein Lieblingsmuseum?
Ich bin riesengroßer Fan der neuen Hängung im Kunstpalast und auch das K21 ist ein Lieblingsort. In beiden Museen hänge ich auch. Ich kann mich für Kunsthistorik begeistern und stundenlang darin verlieren. Ebenfalls empfehlenswert ist die Mahn- und Gedenkstätte an der Mühlenstraße.

Was bedeutet es dir als Düsseldorfer Künstlerin in einer Institution wie dem Kunstpalast oder K21 zu hängen?
Ich renne immer noch dem Zustand des Begreifens hinterher. Meinen Erfolg kann ich gar nicht in Worte fassen. Ich sehe und fühle das junge Mädchen, das früher im Lantz‘schen Park in Lohausen auf ihren kleinen Bruder aufgepasste, zwischen den Skulpturen spielte und immer davon träumte, Künstlerin zu sein. Dass es jetzt wirklich passiert, ist wie in etwas aufzuwachen, von dem man nicht wusste, dass man es geträumt hat.

Links eine silberfarbene Skulptur auf einem Sockel, daneben zwei runde Bilder, die aussehen wie Bullaugen.

Was erwartet uns in deiner Einzelausstellung „Dark Star Backyard“ im Bilker Bunker?
Ich hatte die Möglichkeit das Buch „The Body of Meaning“ zu machen, um einen Gesamteindruck über mein bisheriges Arbeiten zu gewinnen. Daraus ist die Ausstellung entstanden. Sie dreht sich um die Behandlung des Körpers. Ich glaube, dass es schön ist, wenn ich die Reflektion des Selbst und der Umwelt in unterschiedlicher Art und Weise zurückgebe, damit andere daran teilhaben können und einen neuen Blick bekommen: auf Menschen, auf das Sein, auf Individuen. Wir neigen als Menschen im Moment leider dazu, wahre Individualität zu bekämpfen – und damit letztendlich uns selbst. Ich selbst bin viele. Wir alle sind es und es gibt prägende Lebensumstände, die sich in uns manifestieren und die wir weitergeben. Das sichtbar zu machen in der Abstraktion, Materialisierung und Komposition, versuche ich mit „Dark Star Backyard“ im Bilker Bunker anzubieten.

anysreimann.com

Ein roter Aufkleber, auf dem "Elephant Woman" steht, klebt auf schwarzem Verpackungsmaterial.
Info

Die Ausstellung „Dark Star Backyard“ läuft bis 8. Januar 2025 im Bilker Bunker an der Aachener Straße. Das Rahmenprogramm umfasst einen Artist Talk & Lesung mit Anys Reimann, einen Medienworkshop für Mädchen ab 13 Jahren, Führungen und weitere Angebote.
Mehr Informationen unter bilkerbunker.de.

Text: Karolina Landowski
Fotos: Uwe Kraft

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