Der Karnevalswagen-Baumeister Jacques Tilly steht hinter einem Regal mit Farben, erträgt einen knallroten Overall und hat einen Pinsel quer im Mund.

Jacques Tilly – Wagenbauer, Hofnarr und heißgeliebtes Düsseldorfer Original

Karneval in Düsseldorf

|

„Früher war ich gegen alles, heute stelle ich mich vor den Staat und verteidige seine Errungenschaften gegen geschichtsvergessene Idioten.“

Die Karnevalswagen von Jacques Tilly sind berühmt wie berüchtigt. Dicht an dicht stehen die Wagen des kommenden Rosenmontagszugs im alten Straßenbahndepot. Einige erstrahlen schon in knalligen Farben, an anderen wird noch fleißig gebaut. Es riecht nach Farbe, im Hintergrund übertönt ein Bohrer das Baustellenradio und überall laufen Menschen mit Kleidung voller Farbkleckse herum. Mittendrin der Herr, Meister und Hofnarr dieses sehr „düsseldorfigen“ Universums: Jacques Tilly.

Weltweit bekannt sind seine satirischen Großplastiken, die den Düsseldorfer Rosenmontagszug zum Inbegriff des bissigen und sehr politischen Karnevals gemacht haben. Halt macht Tilly dabei vor nichts und niemandem – egal ob Vladimir Putin, der in Blut badet. Donald Trump, der ein Hackenkreuz aus der amerikanischen Fahne geschnitten hat. Und auch nicht vor dem Bischof mit einer Penismitra auf dem Kopf und dem Schriftzug „Das Kernproblem der katholischen Kirche“ auf dem Talar.

„Mit 20 bin ich in die Halle gekommen und habe sofort gewusst: Hier will ich nicht mehr weg.“

Was es am kommenden Zoch zu sehen gibt, ist das wohl am strengsten gehütete Geheimnis Düsseldorfs. In einer Halle, die nur dem engsten Team zugänglich ist, werden Tillys Entwürfe umgesetzt. „Die Geheimhaltung gibt uns Freiheiten, Beschwerden nehmen wir ab Aschermittwoch an“, sagt Tilly beim Rundgang durch die große Wagenhalle. In seiner gewohnten Arbeitskleidung, einem roten Overall, schreitet er durch die Reihen. Ständig klingelt sein Telefon, während Mitarbeiter*innen ihm immer wieder kurze Fragen stellen. „Im Mai fangen wir mit den ersten Wagen an, ab November geht’s dann ausschließlich um Karneval“, erklärt Jacques Tilly. So werden rund 100 Wagen gebaut, geformt und bemalt. Denn neben den 14 Mottowagen fahren etwa 85 von Karnevalsvereinen und Sponsoren mit. „Ein Viertel der Vereine baut seine Wagen selbst, viele nach meinen Entwürfen“, sagt der 61-jährige Tilly. Dazu kommen neben den Figuren auch noch Aufbauten für die obligatorischen Kamelle, Lautsprecher oder auch Klohäuschen.

Jacques Tilly neben einer Wagenplastik: eine Art Totenkopf mit Hitlerbärtchen.

Die Technik, wie man aus Draht, Kleister und Acrylfarbe bunte und lebendige Figuren erschafft, kann übrigens jede*r beim Meister höchstpersönlich in Wochenendworkshops erlernen. Bloß nicht kurz vor Karneval, wenn hoch konzentriert gearbeitet wird. Der Wagen von Fortuna Düsseldorf leuchtet bereits strahlend rot-weiß, Visit Düsseldorf wird mit Szenen aus der Düsseldorfer Kulturgeschichte durch die Straßen fahren und der Prunkwagen der Prinzengarde macht mit einem Esel auf den 200. Jahrestag des Düsseldorfer Karnevals aufmerksam. „Der Esel hat nämlich 1825 den ersten Karnevalszug in Düsseldorf angeführt“, so Tilly.

„Wir behandeln alle Parteien gleich, nur die AfD gleicher“

Jacques Tilly selbst ist seit 40 Jahren die prägende Kraft im Düsseldorfer Karneval. „Mit 20 bin ich in die Halle gekommen und habe sofort gewusst: Hier will ich nicht mehr weg.“ Ein Jahr später fing er an, Kommunikationsdesign an der Gesamthochschule Essen zu studieren. „Dafür habe ich neun Jahre gebraucht, weil ich im Wintersemester immer ausgesetzt habe, um die Wagen zu bauen.“ Er war aber nicht der erste bekannte Künstler, der Mottowagen baute. Vor ihm waren weltberühmte Düsseldorfer Künstler wie Gerhard Richter oder Günther Uecker in der Halle tätig. Die Faszination Karneval hat Jacques Tilly allerdings viel früher gepackt: „Ich war vier Jahre alt und als Teufelchen verkleidet, als ich den ersten Zoch angeschaut habe. Mein Vater hat mich auf eine Aluleiter gestellt, damit ich besser sehen konnte.“ Zurück zu Hause malte Klein-Jacques das Gesehene. Frühe Kinder- und Jugendzeichnungen – und natürlich seine berühmten Mottowagen – sind übrigens bis 11. August im Stadtmuseum Düsseldorf in der Ausstellung „Jacques Tilly. Freigeist – 200 Jahre Comitee Düsseldorfer Carneval e. V.“ zu bestaunen. Wie fühlt es sich an „musealisiert“ zu sein? „Ein bisschen wie eine Mumie“, scherzt der gebürtige Düsseldorfer. „Aber ich hoffe, dass ich das hier noch eine Weile machen werde.“

Ein Mitarbeiter arbeitet an einem Wagen, der Putin mit blutigen Händen darstellt.

Die Liebe zu seinem Job merkt man Jacques Tilly mit jedem Satz an – besonders in diesen politisch unruhigen Zeiten. Seine Rolle als Satiriker, der der Gesellschaft und seinen Institutionen einen Spiegel vorhält, hat sich geändert. „Früher war ich gegen alles, heute stelle ich mich vor den Staat und verteidige seine Errungenschaften gegen geschichtsvergessene Idioten“, erklärt Tilly. Und da ist er dann auch, der leidenschaftliche Kämpfer für eine freie Demokratie und eine tolerante und offene Gesellschaft. Der gestiegene Stellenwert seiner Arbeit ist ihm durchaus bewusst: „Wenn unsere Ordnung bedroht ist, bauen wir erst recht meinungsstarke Wagen.“ Auch wenn der Karneval parteipolitisch neutral ist, so kann man sich wahrscheinlich vorstellen, welche Partei er am bissigsten aufs Korn nehmen wird. „Wir behandeln alle Parteien gleich, nur die AfD gleicher“, gibt Tilly süffisant zu, der inzwischen in der Küche der Wagenbauhalle sitzt und einen Kaffee trinkt. Laufend kommen Mitarbeiter*innen rein, reden kurz mit ihm und verschwinden wieder in die geheimnisumwobene Halle, die an die Küche angrenzt.

Neben der tagesaktuellen Politik hat Tilly mit Kirche und Religion noch ein weiteres Lieblingsfeld. Eines, das er als Beirat der humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung außerhalb des Karnevals beackert. Dementsprechend ist sein besonderer Tipp für einen Ausflug in Düsseldorf folgerichtig: „Mit Besucher*innen fahren wir gerne in den Nordpark, um den Evolutionsweg abzugehen, der am Auquazoo beginnt.“ Dort kann man auf einer Strecke von 500 Metern die fast fünf Milliarden Jahre Erdgeschichte abgehen, wobei jeder Meter zehn Millionen Jahre repräsentiert.

Jacques Tilly tut so, als zöge er den Putin-Wagen.

Ein weiteres karnevalistisches Highlight ist für Jacques Tilly übrigens die Düsseldorfer Stunksitzung. Und wohin geht Jacques Tilly, der sein ganzes Leben in Oberkassel verbracht hat, am liebsten zum Abendessen? „Ich mag es sehr gerne volkstümlich in Brauhäusern wie dem Füchschen oder Schlüssel“, sagt Tilly und überlegt kurz. „Da muss ich dann aber auch noch das Meuser in Niederkassel erwähnen, das ist DAS Traditionslokal im linksrheinischen Düsseldorf, wo ich wohne.“ Dann klingelt zum x-ten Mal sein Handy, den Anruf nimmt er entschuldigend an und spricht kurz. Ein zurecht gefragter Mann – besonders in politisch unruhigen Karnevalszeiten. Gerade jetzt brauchen wir in Düsseldorf und Deutschland Freigeister wie ihn.

Text: Clemens Henle
Fotos: Uwe Kraft

Jetzt zum Newsletter anmelden und keine Neuigkeiten mehr verpassen