Künstler Tim Berresheim sitzt auf einer steinernen Bank mit Mauer im Hintergrund.

Alte Welt, neue Technologie − Künstler Tim Berresheim im Interview

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„Hans-Jürgen Hafner war der Kurator und der Erste, der mir viel Platz gegeben hat. Er ließ mich einfach machen. In Düsseldorf war man mutig.“

Es ist nicht so, dass sich die Kunst von Tim Berresheim unmittelbar erschließt. Vielmehr erscheint sie enigmatisch-komplex, extrem vielfältig in ihrer Ausdrucksform und voller versteckter Hinweise und Symbole. Einer einfachen Lesbarkeit verweigert sich Tim Berresheim laut eigener Aussage bewusst. Trifft man den hünenhaften Berresheim in seiner ersten großen Retrospektive im Düsseldorfer NRW-Forum, bildet sich sofort eine Menschentraube um den Künstler. Denn wenn Berresheim die konzeptionellen Entstehungsprozesse seiner zeitgenössischen computerunterstützten Kunst aufschlüsselt, seine Herangehensweise und Intention erläutert, stößt er auf Neugierde und Staunen. Auch wir hatten Fragen: zu seiner ungewöhnlichen Kunst und Arbeitsweise, zu seinem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie und zu den Orten, an denen er sich in der Stadt am wohlsten fühlt.

Deine Ausstellung im NRW-Forum Düsseldorf heißt „Neue alte Welt“. Könntest du den Titel bitte erklären?
Der Titel bezieht sich auf meine Vermutung, dass wir gerade im Begriff sind, uns eine neue Welt zu erschließen, nämlich die des digitalen Raums. Den digitalen Raum sinnvoll zu nutzen, ihn uns anzueignen, ist eine der großen Aufgaben der Gegenwart. Dennoch handelt es sich um ein altes Problem, das es immer schon gegeben hat. Immer wenn eine neue Technologie das Licht der Welt erblickt, stehen wir vor denselben Aufgabenstellungen: Was ist für uns Menschen sinnvoll, was ist weniger sinnvoll? Meine Arbeiten können als Versuch verstanden werden, diese Fragen im Sinne der Kunst zu beantworten.

Du nennst deine gezeigten Arbeiten auch künstlerische Gegenwartsarchäologie. Was ist der archäologische Aspekt?
Der archäologische Part meiner Arbeit ist das Hervorholen von nicht offensichtlichen Phänomenen. Wir haben es bei der Computertechnologie mit einer sehr komplexen Welt zu tun, und überall, wo ich grabe, stoße ich auf anderes Wissen. Die Welt ist meiner Meinung nach im Umbruch und es lohnt, schon heute zu graben, um Dinge, die im Verborgenen stattfinden, sichtbar zu machen.

Kannst du das konkreter erklären? Was finden die Besucher*innen in deiner Ausstellung?
Zum einen sind es Funde aus dem Vogelherd, einer Höhle (bei Niederstotzingen im Lonetal, einem bedeutenden Fundplatz des Jungpaläolithikums/Anm. d. Red.), in der Menschen vor 40.000 Jahren Artefakte und Werkzeuge hinterlassen haben. Und dann gibt es weitere Werkzeuge, meine Bilder. Sie sind sozusagen Denkwerkzeuge, von einem kognitiven Werkzeug, dem Computer, ans Licht gebracht. Werkzeuge müssen immer gedacht werden, sie fallen nicht vom Himmel. Der Erzählraum, den ich hier öffne, zeigt auf der einen Seite den Faustkeil als erstes Werkzeug. Es hat dann noch 19.000 Jahre gedauert, bis der Mensch aus der Höhle getreten ist, um Ackerbau zu betreiben. Das heißt, dieses erste Werkzeug hat andere nach sich gezogen. So ist das auch in meinen Arbeiten. Schließlich müssen wir Werkzeuge zur Kommunikation oder Werkzeuge zur Bilderstellung immer wieder neu denken. Diese Ausstellung zeigt mein Nachdenken darüber – in Bildern der letzten 25 Jahre.

Du sagst, dein Computer sei ein Kumpel auf Augenhöhe, der dir Arbeiten abnimmt. Was erledigt er für dich?
Eher Stupides und Doofes. Ich brauche ihn nicht, um Bilder zu erstellen, sondern für die Verarbeitung von unendlichen Datenmengen. Für die Ausstellung habe ich sieben Höhlen gescannt, das waren Milliarden von Datensätzen. Das kartografierst du als Mensch nicht mehr.

Man sieht die Hände von Tim Berresheim, in denen er sein Smartphone hält, auf dem das Wort Computer zu lesen ist.

Du bist Autodidakt, auch in Sachen Technologie. Was hat deine Faszination für das Medium entfacht?
Ich war sieben oder acht Jahre alt und der Computer erschien mir schon damals als eine Art Heilsbringer. Ich bin 1975 auf dem flachen Land geboren. Damals wurde der Computer oft dystopisch gedacht. Wir hatten die Pershings um die Ecke, wir hatten den Kalten Krieg, es gab Filme wie „War Games“. Der Computer in seinem Aspekt als vernetzendes Instrument hat mich nie interessiert. Der Computer als Arbeitsmittel und Ausgabemedium, das allein unendliche Datenmengen transformieren oder visuell werden lassen kann – das fand ich spannend! Der Computer erlaubt mir die Illusion von Kontrolle. Darum geht es.

Du hast in Braunschweig und Düsseldorf Kunst studiert. Wie wurde deine Computeraffinität an der Kunstakademie aufgenommen?
Mich interessiert das emotionale Setting des Digitalen. Wie fühlt sich das an? Und für mich hat sich das von Anfang an warm und echt angefühlt. An der Kunstakademie merkte ich: Die meisten erleben den Computer als defizitär und unauthentisch. Es gebe keine Handschrift, der Autor/die Autorin verschwinde dahinter. Das habe ich ganz anders empfunden. Es ist in meinen Augen kein Defizit, sondern spricht für die Qualität von Kunst; wenn die künstlich ist, ist das gut. Als Gegenreaktion kam 2007 ein Malereiboom auf. Und heute, fast 20 Jahre später, ist das Digitale manchen Künstler*innen nach wie vor ein bisschen verdächtig.

Bekommst du das von der Kunstkritik gespiegelt?
Von der Kunstkritik nicht. Es gibt nicht den*die eine*n „Digitalkünstler*in“, sondern es sind hunderte verschiedene Tätigkeiten an hunderten verschiedenen Werkzeugen. Ich nutze den Computer so, andere nutzen ihn anders. Die Bezeichnung „Digitalkünstler*in“ trifft nicht zu, sie greift zu kurz. Ich sehe mich als zeitgenössischen Künstler.

Du hast Ende der 90er Jahre bei Albert Oehlen an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert. Was war deine wichtigste Lektion dort?
An der Kunstakademie war ich tatsächlich nur eine Woche. (Lacht) Das hat für mich überhaupt nicht funktioniert. Aber Albert Oehlen lud mich nach Köln ein, in sein Atelier, das war eine einschneidende Erfahrung. Seine Lektion lautete grob vereinfacht: Konzentration und Mut. Er war eine sehr konzentrierte, sehr mutige Person. Ich kannte Punks, ich kannte Skinheads, meine Eltern waren gutbürgerlich. Bei Albert habe ich einen alternativen Lebensentwurf kennengelernt. Für mich war das einer, der taugte.

Welche Erfahrungen hast du in der Düsseldorfer Kunstszene gemacht?
Ich hatte 2014 in Düsseldorf die Ausstellung „Auge und Welt“ im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen. Hans-Jürgen Hafner war der Kurator und der Erste, der mir viel Platz gegeben hat. Er ließ mich einfach machen. In Düsseldorf war man mutig.

Was verbindest du sonst noch mit Düsseldorf?
Ich war auf vielen Punkkonzerten auf der Kiefernstraße, zum Beispiel im AK 47. Und meine ersten Doc Martens habe ich bei Pick Up in der Altstadt gekauft.

Was machst du, wenn du nach Düsseldorf kommst?
Ich gehe wahnsinnig gerne in Düsseldorf essen. Ich gehe wahnsinnig gerne shoppen. Ich gucke mir hier gerne Kunst an. Die Stadt hat eine gute Proportion. Ich muss nicht weit gehen, um etwas zu erleben. Das finde ich schön.

Wo trifft man dich?
Zum Beispiel in der Bouillabaisse an der Neustraße. So einen Laden findet man sonst nirgendwo. Aber ich mag auch die Bar Olio und die Brasserie Hülsmann in Oberkassel.

timberresheim.de

Save the date
Die Ausstellung „Neue alte Welt“ im NRW-Forum läuft noch bis 26. Mai 2024.

Tim Berresheim, Portrait


Tipp
Tim Berresheim ist in der Galerie Beck & Eggeling in der Gruppenausstellung „Der Blumenstrauß. Die vergängliche Pracht. Fotografie von den Anfängen bis heute“ bis 29. Juni 2024 zu sehen.

Seit 15. Mai 2024 ist Tim Berresheim in der fiftyfifty-Galerie vertreten. Der Künstler unterstützt die Obdachlosenhilfe mit einer eigenen Benefiz-Ausstellung und Edition: 15 fotografische Arbeiten, Originale sowie ein Multiple in drei Farben.

Interview: Ilona Marx
Fotos: Markus Luigs
Ausstellungsfotos „Neue alte Welt“: NRW-Forum

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