Stefan Sagmeister im gelben Hemd, im Hintergrund die Skyline Düsseldorfs mit Gehry Häusern und Rheinturm.

Now Is Better – Designer Stefan Sagmeister im Interview

|

„Das ist alles aus Düsseldorf? Das wusste ich gar nicht!“

Stefan Sagmeister war im Mai 2024 zu Gast bei der Design-Konferenz Beyond Tellerrand. Es war der erste Besuch des gebürtigen Österreichers in Düsseldorf. Der in New York lebende Kommunikationsdesigner hat fast alle wichtigen Designpreise gewonnen, Cover für die Rolling Stones, Jay-Z und Talking Heads gestaltet. Dann verbrachte Sagmeister im Jahr 2006 ein Sabbatical auf Bali. Diese Auszeit bewegte ihn zum Umdenken. Stefan Sagmeister begann damals, seine Arbeit weg von kommerziellen Aufträgen hin zur Übermittlung gesellschaftlicher Botschaften zu verlagern. Was er einer pessimistischen Weltsicht entgegensetzt, warum er ein urbanes Umfeld braucht, um kreativ zu sein und welche Düsseldorfer Bands ihm am meisten imponieren, verrät Sagmeister im Interview.

Du sprichst oft auf Konferenzen und warst schon zu vielen TED Talks eingeladen. Darüber hinaus bietest du auf Instagram kostenlose Designkritik an. Was motiviert dich, um die Welt zu reisen und dein Wissen und deine Erkenntnisse zu teilen?
Das hat ein bisschen mit meinem Alter zu tun. Ich glaube, die Evolution hat es so eingerichtet, dass wir die besten Ideen haben, wenn unser Gehirn noch wächst. Also bis etwa 30. In meinem Alter (Sagmeister ist Jahrgang 1962. // Anm. d. Red.) scheint es mir ein natürliches Bedürfnis, mein Wissen weiterzugeben. Ich habe 25 Jahre an der School of Visual Arts in New York unterrichtet, bin immer wieder an Hochschulen zu Gast und biete meine Unterstützung, wie du richtig sagst, auch auf Instagram an. Damit erreiche ich relativ viele Leute. Das erscheint mir effektiv.

Warst du schon einmal bei Beyond Tellerrand zu Gast?
Ja, es ist mein viertes Mal. Ich war in München, Hamburg und Berlin. Hier in Düsseldorf bin ich aber überhaupt zum ersten Mal.

Deine Themen kreisen um Glück und Schönheit. Außerdem vertrittst du die These, dass unsere Welt entgegen dem allgemeinen Tenor nicht gewalttätiger und schlechter, sondern immer besser geworden ist. Eine Ansicht, die du mit dem Harvard-Psychologen Steven Pinker teilst.
Steven Pinker hatte einen großen Einfluss auf mich. In seinem 2011 erschienen Buch „Gewalt“ macht er darauf aufmerksam, dass die Gewalt im Verlauf unserer Zivilisation immer weiter abgenommen hat. Mit der Idee des Langzeitdenkens wurde ich zum ersten Mal durch die Long Now Foundation konfrontiert. (Die US-amerikanische Non-Profit-Organisation propagiert das langfristige Denken und arbeitet an einer Uhr, die die nächsten 10.000 Jahre funktionieren soll. // Anm. d. Red.) Das hat mich sofort fasziniert. In vielen Lebensbereichen, in der Politik, aber auch in der Wirtschaft, wird beklagt, dass zu kurzfristig gedacht wird, etwa weil die vierteljährlichen Resultate für wichtiger genommen werden als die Frage, wie die Firma in fünf Jahren dasteht. Ich glaube, langfristiges Denken fehlt uns in vielen Bereichen. Auch in der rückblickenden Beurteilung sollte man die letzten fünf oder sogar die letzten 50 Jahre anschauen. Überraschenderweise führt das, wie auch Pinker zeigt, zu einer völlig anderen Sicht auf die Welt. Da die Nachrichten sowohl in den sozialen Medien als auch in den traditionellen Kanälen auf Kurzzeit ausgelegt sind und in ihrer Aussage zumeist negativ, haben viele von uns ein verfälschtes Bild der Welt.

Deine Auseinandersetzung mit dem Thema begann mit den Plakaten, die du nach deinem ersten Sabbatical gemacht hast, nicht wahr?
Mein Mentor und großes Vorbild war der Grafikdesigner Tibor Kalman. Er hat Design immer als Sprache gesehen. Nachdem ich das Studio sieben Jahre geführt und davor an zwei verschiedenen Unis studiert hatte, dachte ich: ‚Okay, diese Sprache beherrsche ich jetzt. Was will ich nun damit anfangen?‘ Wie die meisten Grafikdesigner hatte ich bis dahin praktisch nur in kommerzieller Sprache gesprochen. Nach dem Sabbatical traten zwei Kunden an mich heran, die mir große Freiheit ließen: Zum einen ein österreichisches Magazin, dabei ging es um die Gestaltung einiger Doppelseiten. Der andere Kunde war eine französische Plakatfirma, die in einem Park Billboards aufgestellt hatten. Die Ansage war: ‚Mach irgendwas!‘ Das war anfangs überraschend schwierig.

So bist du dann auf die Idee gekommen, Einsichten aus deinem Notizbuch „Things I Have Learned In My Life So Far“ in Bilder umzusetzen?
Ja, und es gab erstaunlich viel Widerhall. Die Plakate wurden oft reproduziert und sie wurden weltweit gezeigt, in Zeitungen, Magazinen und auf Plakatwänden in Fußgängerzonen. Dann fing ich damit an, Dinge zu kommunizieren, von denen ich glaube, dass sie nicht oft genug gesagt werden.

Woran arbeitest du im Moment?
Es gibt eine große Ausstellung in einem Museum in Shanghai. Sie heißt „It’s getting better“. Im Mai wurde die Ausstellung „Besser“ am Bodensee in Österreich eröffnet. Das sind zwei unterschiedliche Ansätze: Die chinesische Ausstellung dient der Reflexion des Themas, die österreichische Schau darüber hinaus dem Verkauf der Exponate. Denn im Gegensatz zu meinem Ausstellungsprojekt „Beauty“ oder der „Happy Show“ gibt es bei der Ausstellung in Österreich die Möglichkeit, Arbeiten zu erwerben und zuhause über das Sofa zu hängen. Als Erinnerung daran, dass das, was man gerade in den sozialen Medien gelesen hat, nicht unbedingt das Ende der Welt bedeutet. Allerdings denke ich darüber nach, sie umzubenennen. Vielleicht in „Boring“. Die Leute lassen sich von einem positiven Titel immer noch abschrecken.

Du wurdest in den 1990er Jahren für deine Plattencoverentwürfe gefeiert. Deine Kunden waren die Rolling Stones, Lou Reed, Aerosmith, Jay Z und Talking Heads, um nur einige zu nennen. 2000 hast du damit aufgehört.
Bei vielen Dingen im Leben gilt, dass das 50. Mal nicht so gut ist wie das erste. Also nicht so viel Spaß macht. Es gehört zu den absoluten Vorzügen meines Berufs, dass man verschiedene Richtungen ausprobieren und sich immer noch Designer nennen kann. Einen Stuhl oder einen Film zu machen, sind wirklich sehr unterschiedliche Prozesse.

Düsseldorf ist Hochburg der elektronischen Musik und des Punks, Wiege des Krautrock und Heimat vieler einflussreicher Bands. Hier sind zum Beispiel die Alben „Monarchie und Alltag“ von Fehlfarben entstanden, von Kraftwerk „Die Mensch-Maschine“, „Autobahn“, „Trans Europa Express“ und „Computerwelt“. Und von den Toten Hosen „Ein kleines bisschen Horrorshow“.
Das ist alles aus Düsseldorf? Das wusste ich gar nicht!

Für welche dieser Bands hättest du am liebsten ein Cover gemacht?
Für Kraftwerk. Aber das wäre sehr schwierig geworden, denn die waren ja schon damals Weltklasse. Nicht nur musikmäßig, sondern intellektuell und vor allem visuell. Ich würde mal sagen, dass die visuelle Präsentation von Kraftwerk – und damit meine ich nicht nur die Cover, sondern auch die Videos oder die Bühnenshow – etwas war, das es sonst in Deutschland oder Österreich nicht gab.

Du lebst seit vielen Jahren in New York, einer Stadt, die als Gradmesser des Zeitgeists gilt. Wie hat sich die Stadt im Lauf der Jahre verändert?
New York ist erwachsen geworden. 1986, als ich ankam, war es ein wildes Ding – und günstig! Ich konnte ein Zimmer in einer Wohnung an der Lower East Side mieten, für 400 Dollar. Genau richtig für einen Designstudenten. Und als ich mich langsam über die Jahre etabliert habe, hat sich glücklicherweise auch die Stadt etabliert. Wenn es heute noch so gefährlich wäre wie 1986, würde ich nicht mehr New York wohnen.

Braucht man als kreativer Mensch so ein urbanes Umfeld?
Für mich gilt das irgendwie schon. Ich war während meines ersten Sabbaticals ein Jahr in Bali. In der Einöde wäre es deutlich billiger gewesen, ein Haus zu mieten. Aber ich wollte dann trotzdem 15 Minuten entfernt von Ubud wohnen, also mit Zugang zu Leuten, zu Restaurants, zu Geschäften. Während meines letzten Sabbaticals war ich vier Monate in Schwarzenberg, einem kleinen Ort im Bregenzerwald, unweit von dort, wo ich herkomme. Das war interessant, aber ich würde es nicht mehr machen. Da war Mexico City fruchtbarer für mich.

Alle sieben Jahre schließt du dein Designstudio in New York und begibst dich auf ein einjähriges Sabbatical, ein Ritual, das du den „7 Year Itch“ nennst. Dein nächstes Sabbatical startet in diesem Herbst. Was sind die Stationen?
Madrid, Buenos Aires und Guadalajara in Mexiko. Die mexikanischen oder einige südamerikanische Städte haben eine so lockere Dichte, dass du innerhalb der Stadt noch Produktionsstätten findest. Es gibt Platz für Kunst, aber auch für Handwerk. Um die Ecke eine*n Tischler*in oder eine Keramikproduktion zu haben, finde ich sehr angenehm.

Du bezeichnest den 1999 verstorbenen Grafikdesigner Tibor Kalman als einen wichtigen früheren Impulsgeber. Gibt es eine lebende Person, die dich aktuell inspiriert?
Ja, meine große Schwester Christine. Sie führt ihr Leben mit sehr viel Kindness, sie unterstützt andere Leute. Daraus schöpft sie Sinn und Lebensglück. Das lasse ich gerne auf mich abfärben.

sagmeister.com

Info

Beyond Tellerrand
2011 fand zum ersten Mal Beyond Tellerrand in Düsseldorfer statt. Die Konferenz schlägt einen weit umspannenden Bogen um Technologie und Kreativität. Marc Thiele ist Initiator der Beyond Tellerrand, die mittlerweile auch jährlich in Berlin stattfindet. Thiele lädt Expert*innen aus der ganzen Welt ein, wie im Mai 2024 Stefan Sagmeister.
beyondtellerrand.com

Text: Ilona Marx
Fotos: Kristina Hellhake
Weitere Fotos von Ausstellungen und Arbeiten mit freundlicher Genehmigung von Stefan Sagmeister.

Jetzt zum Newsletter anmelden und keine Neuigkeiten mehr verpassen