"Moby Dick" inszeniert von Robert Wilson: Eine Szene, die fast schwarzweiß wirkt, im Hintergrund das Meer.

Düsseldorfer Schauspielhaus − Robert Wilson inszeniert „Moby Dick“

Interview

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„Als ich das erste Mal am Düsseldorfer Schauspielhaus inszenierte, hatte ich sofort eine tolle Beziehung zum gesamten Team. Wir sind eine Familie geworden.“

Zum bereits vierten Mal inszeniert der US-amerikanische Theaterregisseur Robert Wilson am Düsseldorfer Schauspielhaus. Anfang September eröffnete sein „Moby Dick“ mit einer fulminanten Premiere die Spielzeit. Wilson gehört zu den gefragtesten Theaterregisseuren der Welt. Er hat als Choreograf, Darsteller, Maler, Bildhauer, Videokünstler sowie als Sound- und Lichtdesigner gearbeitet. Am Düsseldorfer Schauspielhaus werden seine Inszenierungen seit Jahren gefeiert. „Der Sandmann“ nach E.T.A. Hoffmann war 2017 Robert Wilsons Debüt, es folgten „Das Dschungelbuch“ nach Rudyard Kipling und „Dorian“ ein Stück, das auf dem Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde fußt. Wir durften den 82-jährigen Multitasker zwei Stunden vor Premiere von „Moby Dick“ treffen und Einblicke in seine Philosophie bekommen.

Sie haben schon vier Stücke am Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert. Was reizt Sie daran, an diesem Haus und in dieser Stadt zu arbeiten?
Ich mag Düsseldorf. Ich war früher oft hier, um eine enge Freundin, Gabriele Henkel, zu sehen. Auch damals schon besuchte ich dieses Theater. Und ich habe mitbekommen, was in den 1950er Jahren mit Gustaf Gründgens vor sich ging. Ich weiß um die bildenden Künstler*innen und Bildhauer*innen, die revolutionäre Dinge taten. Als ich das erste Mal im Düsseldorfer Schauspielhaus inszenierte, hatte ich sofort eine tolle Beziehung zum gesamten Team. Angefangen bei der Administration bis hin zu all den verschiedenen Abteilungen – dem Kostümbild, der Maske und der Lichttechnik. Wir sind eine Familie geworden, ich habe enge persönliche Bande geknüpft. Meine nächste Arbeit wird mich an die Pariser Oper führen. Das ist so eine große Institution, dass man dort keinen vergleichbaren Kontakt mit den Mitarbeiter*innen bekommt. Wir in Düsseldorf sind ein Team, eine Einheit. Das genieße ich sehr. Deshalb komme ich immer gerne wieder.

Ihre Stücke sind bildgewaltig, ihre Ästhetik ist kühl und elegant. Wie gelingt es Ihnen, als Theatermacher dennoch unter die Oberfläche zu gelangen?
Ich habe nie Theater studiert – ich lernte es, indem ich es machte. Als ich für mein Architekturstudium von Texas nach New York ging und das erste Mal die Stücke sah, die dort am Broadway gespielt wurden, gefielen sie mir überhaupt nicht. Die Art, wie die Schauspieler*innen agierten, schien mir übertrieben und die Dekoration fand ich oberflächlich. Ich besuchte die Oper – und empfand sie als noch grotesker. Dann sah ich ein Stück von George Balanchine, das mir sehr gut gefiel. Es war formell. In einem formellen Setting gibt es mehr Distanz, mehr Platz. Das ließ dem Publikum Raum und Zeit zur Reflexion. In den Stücken am Broadway gab es für meinen Geschmack einfach zu viel Information. Schauspieler und Schauspielerinnen, die versuchten, sich durch Posen auszudrücken. Die abstrakten Stücke von George Balanchine, von Merce Cunningham und John Cage – die interessierten mich! Meine ersten Stücke inszenierte ich mehr oder weniger intuitiv, sie waren ruhig und wollten dem Publikum keine Idee aufzwingen, sondern Raum für Gedanken schaffen. Es war eher eine Zen-Haltung, kein Theater, das interpretiert, sondern eines, das offen ist für Assoziationen.

Erneut spielt in „Moby Dick“ der Text nicht die Hauptrolle. Vielmehr erwartet uns eine Rockoper mit Musik der britischen Musikerin Anna Calvi. Wiegen Bilder und Sound mehr als Worte?
Nein. Im Theater sind alle Elemente gleich wichtig. Eine Bewegung in der Szenerie, der Einsatz von Licht, die Farbe eines Lichts, ein Wort, der Klang eines Wortes – all das sind sprachliche Mittel. Sprache besteht für mich nicht nur aus Worten. Theater ist etwas, das man sieht und hört. Es gibt auch keine wahre Stille. Solange man lebt, ist da immer ein Geräusch und eine Bewegung. In diesem Sinne ist jedes Theater Tanz – und jedes Theater ist auch Musik.

„Das Dschungelbuch“, „Der Sandmann“, „Moby Dick“. Einige der Stücke, die Sie in Düsseldorf inszeniert haben, verhandeln Stoffe, die sich auch an Kinder und Jugendliche richten. Was interessiert Sie daran?
Mein Theater fußt immer auf einer visuellen Idee, das gilt für nahezu alle Stücke der letzten 59 Jahre. Ich bin nie von einem Text ausgegangen. Ich hatte das Glück, auf der ganzen Welt zu arbeiten, in Japan und Korea, in vielen Ländern des Fernen Ostens, in Indonesien, China und Sibirien und in Russland. Meine Arbeiten wurden im Nahen Osten gezeigt, im Iran – überall von Prag bis São Paulo, in Mittel- und Nordamerika und in ganz Europa. Und was hat das möglich gemacht? Es ist die Tatsache, dass meine Arbeiten visuell sind. Die Stücke müssen nicht übersetzt werden, man kann einfach den Bildern folgen. Das ist eine universelle Sprache.

Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, hinter der Auswahl der Stücke steckt keine tiefere Bedeutung. Diese Produktionen wurden mir vorgeschlagen und an mich herangetragen. „Das Dschungelbuch“ war ein Vorschlag von Pierre Bergé in Paris (Bergé ist französischer Unternehmer und Mäzen. // Anm. d. Red). „Moby Dick“ war eine Idee von Nicolas Bos, dem CEO von Van Cleef & Arpels, der die Produktion finanziell unterstützt. Und alle Inszenierungen funktionieren auch für Kinder. Das sollte für jegliches Theater gelten, ob man nun „Klytaimnestra“ oder „Medea“ macht. Aber wie ermordet man jede Nacht zwei Kinder und stellt es so dar, dass Kinder es sich ansehen können? Das ist nicht einfach.

Sie arbeiten gerne mit denselben Leuten, beispielswiese mit Christian Friedel. Anna Calvi komponierte nicht nur für „Moby Dick“ die Musik, sondern auch für „Der Sandmann“. Warum greifen Sie für Ihr Team gerne auf bekannte Künstler*innen zurück?
Nun, wenn ich mit Tom Waits arbeite, ist das eine bestimmte Welt, wenn ich mit Philip Glass arbeite, eine andere. Gleiches gilt für David Byrne oder Luigi Nono. Ich habe Opern von Wagner über Puccini bis Mozart gemacht. Bei der Inszenierung von Luigi Nonos „Prometeo“ ging es um die Ruhe des Klangs. Danach arbeitete ich mit Lou Reed – zur Lautstärke des Klangs. Ich habe schon Stücke von Shakespeare, Tschechow, Virginia Woolf und William Burroughs in einer Saison inszeniert.

Hier, wo wir jetzt sitzen, hat mir Christian Friedel vor einiger Zeit ein Interview gegeben und er sagte, das Düsseldorfer Publikum sei leicht zu begeistern. Empfinden Sie das auch so?
Ja. Das Düsseldorfer Publikum pflegt die Tradition, ins Theater zu gehen. In meinem Land ist das anders. Wenn man sich Chicago, Miami oder St. Louis anschaut, dort gibt es diese Tradition, ins Theater zu gehen, nicht.

Und in New York?
In New York ist Theater meist boulevardesk, es dient der Unterhaltung. Wenn man sich das Repertoire in Europa ansieht, findet man klassische und zeitgenössische Stücke. Die Spielpläne sind viel variantenreicher als in New York, wo das Theater eher etwas für Tourist*innen ist.

Portrait vom 82-jährigen Robert Wilson.

Ist das der Grund, weshalb Sie gern in Europa arbeiten?
Ja, ich hatte das Glück, Goethes „Faust“ zu inszenieren, durfte in Frankfurt den „Hamlet“ und in München „König Lear“ auf die Bühne bringen. Zu Beginn meiner Karriere hielt ich nichts in den Händen als ein Buch mit weißen Seiten, dann haben sich diese Seiten nach und nach gefüllt. Ich wusste nicht, was ich tun würde. Es ist einfach so geschehen.

dhaus.de

Info

George Balanchine wurde 1904 unter dem Namen Georgi Balantschiwadse in Petersburg geboren. Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter und Wegbereiter des neoklassischen Balletts. Balanchine steht für Klarheit und Reduktion. Er war international tätig, u.a. an der Metropolitan Opera. Die Deutsche Oper am Rhein widmet sich 2025 der Neoklassik und inszeniert ab Januar 2025 „Rubies“ des 1933 verstorbenen Balanchine.

operamrhein.de

Text: Ilona Marx
Interviewfotos: Markus Luigs
Fotos der Inszenierungen: Düsseldorfer Schauspielhaus

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