Christian Friedel sitzt auf den Stufen der sehr breiten Treppe im Schauspielhaus und hält die Hände zusammen. Im oberen Hintergrund sieht man die Decke, die aus vielen einzelnen Lichtspots besteht. Foto in schwarzweiß.

Schauspieler Christian Friedel über den Boden der Tatsachen & seine Lieblingseisdiele in Oberkassel

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„In Düsseldorf wirst du mit offenen Armen empfangen und das Publikum ist sehr treu, wenn es dich ins Herz geschlossen hast.“

Christian Friedel ist ein ausgewiesenes Multitalent und er agiert nicht nur im Düsseldorfer Schauspielhaus, sondern auch in Filmen auf Weltniveau. Man kennt ihn aus Michael Hanekes „Das weiße Band“ wie aus dem Serienknaller „Babylon Berlin“. In Düsseldorf verkörperte er Nathanael, den Protagonisten aus E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ in einer Inszenierung des Starregisseurs Robert Wilson. Christian Friedel ist auch Wilsons „Dorian“. Seit knapp anderthalb Jahren kriecht, schleicht und wirbelt der gebürtige Magdeburger in dieser Rolle über die Bühne des Großen Hauses. Nicht nur das: In dem Stück nach der Romanvorlage von Oscar Wilde tritt auch die Art-Pop-Band Woods of Birnam in Erscheinung, deren Lead-Sänger und Komponist Friedel ist.
Shakespeares „Hamlet“ gab der 44-Jährige kürzlich zum 150. Mal am Düsseldorfer Schauspielhaus, auch hier sind Woods of Birnam maßgeblich involviert. Auf der Leinwand ist Christian Friedel demnächst an der Seite von Sandra Hüller zu sehen, in „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer. Der Film gewann 2023 in Cannes den Großen Preis der Jury. Friedel und Hüller sind zudem als beste Hauptdarsteller*innen für den Europäischen Filmpreis nominiert und Großbritannien hat das Werk als Oscar-Beitrag ins Rennen geschickt. Und doch findet Friedel vor einer „Dorian“-Aufführung im Foyer des Schauspielhauses Zeit für ein Gespräch.

Schauspieler Christian Friedel, schwarzweiß Portrait.

Vor wenigen Tagen hast du zum 150. Mal den „Hamlet“ gegeben. Du spielst ihn seit 2012, als er in einer gefeierten Inszenierung von Roger Vontobel im Staatsschauspiel Dresden Premiere feierte. In einem Interview mit dem MDR hast du einmal gesagt, Wiederholungen würden dich langweilen, du seist immer auf der Suche nach Neuem. Wie gehst du mit dieser Wiederholung um?
Das stimmt natürlich, 150 Wiederholungen sind nicht ohne. Aber zwischen dem „Hamlet“ in Dresden und dem in Düsseldorf liegen ja einige Jahre. Das Leben verändert sich zwischenzeitlich, man selbst verändert sich und somit verändert sich auch das Stück. Als „Hamlet“ 2019 in Düsseldorf übernommen wurde, hat sich auch das Ensemble teilweise verändert, so dass frisches Blut hineingeflossen ist. Ich freue mich sehr, dass „Hamlet“ schon so lange läuft und funktioniert. Das ist ein großes Geschenk.

Ein anderes Stück, das in Düsseldorf uraufgeführt und begeistert aufgenommen wurde, ist „Dorian“ in der Inszenierung von Robert Wilson. Es kam anschließend auch in Dresden auf den Spielplan. In dem Theaterstück hältst du das Publikum 90 Minuten mit einem Soloauftritt in Atem. Der Text ist verschachtelt, ellipsenhaft. Du wechselst fliegend die Rollen und Kostüme, schon beim Zusehen stockt einem der Atem. Wie bewältigt man einen solchen Abend und wie lernt man einen solchen Text?
Ja, das war der wahrscheinlich schwierigste Text, den ich bisher lernen musste. Es gibt zwar einen inneren Zusammenhang, aber dennoch geht es über viele Passagen hinweg sehr wild und assoziativ zu. Am ehesten prägt sich ein solcher Text bei den Proben ein. Man braucht eine körperliche und visuelle Aktion, um die einzelnen Sätze mit dem Schauspiel zu verknüpfen. „Dorian“ ist daher auch eines der Stücke, auf das ich mich immer schon am Tag vor der Aufführung vorbereiten muss. Je leichtfüßiger und − wie wir Schauspieler*innen sagen − durchlässiger wir durch den Abend gehen, desto besser können die Zuschauer*innen einsteigen. Am Ende geht es gar nicht darum, jede Assoziation zu verstehen und zu durchdringen, sondern darum, einzelne Momente und Emotionen aufzugreifen und mitzunehmen. Das ist, neben der wunderbaren Ästhetik von Robert Wilson, das Spannende an dem Stück: Das sich jeder Zuschauer und jede Zuschauerin seine oder ihre eigenen Gedanken über Kunst, Schönheit und Vergänglichkeit machen kann.

Ein Auschnitt der Treppe im Schauspielhaus. Farbfoto., die Stufen sind mit orangenem Teppich bezogen.

Wie kommst du nach einem solchen Auftritt zur Ruhe?
Ich dusche meistens lange, treffe dann Freund*innen aus dem Ensemble oder schaue mir eine Serie an. „Dorian“ ist ein Abend, der sehr anstrengend ist, nach dem ich aber auch immer sehr beglückt bin. Natürlich denke ich vorher manchmal: ‚Wie soll ich das schaffen?‘ Meine liebe Freundin Sandra Hüller hat mir einmal erzählt, was ein Regisseur ihr mitgegeben hat: Die Tagesform gehört zur Rolle. Das finde ich sehr befreiend. Egal, wie du drauf bist − deine Tagesform generiert neue Aspekte deiner Rolle.

Du lebst in Dresden, bist oft Gast im Dresdener Staatsschauspiel und auch oft als Gastschauspieler in Düsseldorf. Das haben wir nicht zuletzt der Intendanz von Wilfried Schulz zu verdanken, der in der Spielzeit 2016/17 nach Düsseldorf kam. Ist das Düsseldorfer Publikum anders als das Dresdener? Spürt man die rheinische Mentalität?
Ich kenne Wilfried schon seit 17 Jahren und es ist toll, gemeinsam zu wachsen und das verschiedenartigste Publikum kennenzulernen. In Düsseldorf habe ich das Gefühl, dass die Menschen sehr schnell zu begeistern sind. Du wirst mit offenen Armen empfangen und das Publikum ist auch sehr treu, wenn es dich ins Herz geschlossen hast. Vielleicht ist die Gefahr, sich von schönen Bildern oder Musik verführen zu lassen, hier etwas größer als anderswo, aber ich finde die grundsätzlich offene Haltung und die begeisterte Resonanz wunderbar. Die rheinische Mentalität hat etwas sehr Lebensfrohes, Positives − und Optimismus ist etwas, das wir gerade alle gut gebrauchen können. Wenn das Düsseldorfer Publikum merkt, dass du als Schauspieler*in auf der Bühne alles gibst, dann lässt es sich ohne Weiteres mitreißen und man feiert zusammen eine Party. Das ist auch bei unseren Konzerten spürbar, die wir mit der Band Woods of Birnam geben − zuletzt waren wir im Zakk. Dort schlug uns so viel Liebe und Euphorie entgegen, dass wir danach ganz beseelt waren.

Die Band ist Teil der Inszenierung von „Dorian“ geworden. Wie fand Robert Wilson deine Idee, die Band zu integrieren?
Ich bin unglaublich glücklich, dass ich auf Robert Wilson getroffen bin. Die Arbeit mit ihm ist sehr lehrreich und inspirierend. Denn bei Wilson spielen alle Gewerke eine immens große Rolle: das Licht, das Bühnenbild, das Kostüm, die Musik. Von Anfang an bei der Entstehung von „Dorian“ dabei sein zu dürfen, war fantastisch. Was die Livemusik betrifft: Anders als die Stücke mit größerem Ensemble sieht Wilson seine Monologarbeiten eher mit eingespielter Musik. Er war aber interessiert an meinem Vorschlag, das Stück mit Livemusik zu entwickeln − durchaus eine Herausforderung, denn Wilson arbeitet sehr intuitiv und situationsbezogen. Den Song „On the Wild Sea“ mochte er besonders, er hat ihn bei den Proben oft in Dauerschleife laufen lassen.

Autorin mit Christian Friedel im Interview. Beide sitzen auf Hockern.
Christian Friedel (re) im Gespräch mit Ilona Marx.

Du hast einmal gesagt, Eitelkeit sei der schlimmste Feind eines Schauspielers oder einer Schauspielerin. Wie schützt man sich davor?
Schauspielerei hat grundsätzlich etwas mit Eitelkeit zu tun, man möchte möglichst ein perfektes Bild von sich vermitteln. Während der Arbeit sollte die eigene Person jedoch hinter der Figur verschwinden, da spielt es keine Rolle mehr, was meine Idealvorstellung von mir ist, wie ich mich gerne sehen möchte. Das zu beherzigen, schützt einen. Dennoch: Manchmal muss man vorsichtig sein − dann, wenn die Eitelkeit sehr gestreichelt wird. Das perfekte Selbstbild darf nicht wichtiger werden als die Inhalte, die du transportierst.

Du arbeitest nicht nur als Schauspieler und Sänger, sondern auch als Komponist und Theaterregisseur. Ist dein Tag lang genug für all die Projekte, die du gerne verwirklichen würdest?
Bis jetzt ist es mir noch immer gelungen, alle Projekte miteinander zu verbinden, aber ja, ich würde natürlich gerne mehr Stücke in Düsseldorf spielen, wenn nicht die Fahrt so lang wäre. Ich muss sehr genau selektieren, um all das umsetzen zu können, was ich möchte.

Du kommst gebürtig aus Magdeburg. Wann warst du das erste Mal in Düsseldorf und was war dein erster Eindruck?
(Lacht.) 2004 musste ich auf dem Weg nach Tunesien in Düsseldorf umsteigen, ich bin abends am Rhein spazieren gegangen und habe einen Döner gegessen. Das war also ein sehr kurzer erster Eindruck, aber schon damals fand ich es toll, dass die Stadt an einem großen Fluss liegt. Als ich 2016 das erste Mal den „Sandmann“ geprobt habe, habe ich die Stadt peu à peu erkundet und besser kennengelernt. Mein Bild von Düsseldorf hat sich seither sehr zum Positiven gewandelt.

Seit etwa sieben Jahren bist du immer wieder in Düsseldorf zu Gast. Kannst du hier in Ruhe einen Kaffee trinken oder erkennt man dich überall und spricht dich an?
Es gibt schon mehr Leute, die mich ansprechen, aber ich muss nicht mit Mütze und falschem Schnurrbart das Haus verlassen. Ich kann mich hier wunderbar frei bewegen, kann morgens am Rhein joggen gehen. Das genieße ich.

Chrsitian Friedel im schwarzweiß Portrait.

Was hat dich an Düsseldorf beeindruckt oder überrascht?
Als wir den „Sandmann“ geprobt haben, habe ich mit meinen Kolleg*innen Rosa Enskat und André Kaczmarczyk im Medienhafen gewohnt und wir sind nach einem gemeinsamen Frühstück von dort immer zu Fuß zu den Proben gelaufen. Dabei ist mir aufgefallen, wie viele Facetten Düsseldorf hat. Auf der einen Seite ist da natürlich die Luxusmeile Kö, auf der anderen Seite das marokkanische Viertel. In Düsseldorf existieren viele Welten parallel.

Gibt es einen Ort, den du immer wieder aufsuchst, wenn du in der Stadt bist?
Ich esse sehr gerne Eis und habe die Gelateria La Romana 1936 in Oberkassel für mich entdeckt. Es gibt dort fantastisches Eis, dazu weiße und dunkle Sahne und weiße und dunkle Schokolade in Flüssigform. Ich mag auch die Brasserie Hülsmann sehr gerne. Dorthin habe ich meine Familie ausgeführt, als sie zuletzt zu Besuch war. Das Flair ist toll, sie bringen interessante Variationen von Hausmannskost auf den Tisch. Ins TenTen an der Oststraße gehe ich gerne auf einen Latte Macciato, das Restaurant Wilma Wunder ist ein Ort, wo man immer etwas Gutes für zwischendurch bekommt, einen Salat oder eine Suppe. Bei Heinemann esse ich immer Spiegelei mit Spinat. Nicht zu vergessen: der Schallplattenladen A&O Medien in den Schadow-Arkaden. Er hat eine großartige Klassik- und Jazzabteilung. Dort nehme ich gerne ein bisschen Vinyl mit.

Wohin geht deine nächste Reise?
Ich war in den letzten Monaten viel in Nordamerika unterwegs, um den Film „The Zone of Interest“ vorzustellen, und werde dies auch in den nächsten Monaten sein. In den USA ist die Promotion-Arbeit für einen Film etwas ganz anderes als hier. Die Konkurrenz ist ja riesig. Es ist wichtig, den Film in Gänze und in persona zu präsentieren. Als Schauspieler*in wirst du in Amerika auch ganz anders empfangen als in Europa. Amerika trägt dich sehr schnell auf Händen − aber bevor man abhebt und alles glaubt, was einem versprochen wird, ist es wichtig, wieder auf den Boden der Tatsachen zu gelangen. Und das tue ich, wenn ich in Düsseldorf auf der Bühne stehe. Denn gefeiert werden ist gut und schön, aber davor steht eben harte Arbeit. Zum Glück liebe ich genau die!

Ihr möchtet Christian Friedel auf der Bühne sehen? Mehr Informationen unter dhaus.de.

Interview: Ilona Marx
Fotos: Markus Luigs

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