Felix Krämer, Generaldirektor Kunstpalast, steht in einem Lagerraum zwischen gepackten Kunstkisten.

#1 Deep Dive Kunstpalast – Generaldirektor Felix Krämer über das Museum als Wohlfühlort

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„Nur dort, wo ich mich willkommen und auch angesprochen fühle, verbringe ich gerne meine Zeit.“

Der Kunstpalast hat im November 2023 wiedereröffnet. Das erklärte Ziel ist, Menschen ins Museum zu locken, die mit Kunst fremdeln. Felix Krämer, Generaldirektor und künstlerischer Leiter des Kunstpalasts, hat mit seinem Team ein Gesamtkonzept umgesetzt, das Kunst neu präsentiert. Der Museumsbesuch wird zum Vergnügen. Alle sollen sich willkommen fühlen. Dazu tragen die Kunstpalast-App, Augmented Reality, sowie die von Christoph Niemann gestalteten Räume für Kinder bei. Im ersten Teil unseres Deep Dive Kunstpalast erläutert Felix Krämer das Konzept und warum ihm der Rhino Palast für Kinder wichtig ist.

Der neue Kunstpalast, Außenaufnahme bei blauem Himmel.

Ein Museum wie den Kunstpalast neu zu gestalten, zu renovieren, zu sanieren ist allein als Baumaßnahme ein Mammutprojekt. Sie haben die Gelegenheit genutzt, die Institution Museum neu zu interpretieren, und zwar vor allem unter dem Gesichtspunkt mit Kunst alle Menschen erreichen zu wollen. Was hat Sie dazu inspiriert? Und wie erreicht man Menschen, die ansonsten vielleicht nicht in Museen gehen?
Es geht bei der Museumsarbeit nicht darum, allein das museumserfahrene Publikum bestmöglich zu unterhalten, sondern gerade auch Menschen anzusprechen, die den Museumsbesuch nicht seit der Kindheit kennen. Dass Museen Orte der Einschüchterung sein können, die nach bestimmten, von Außenstehenden nur schwer zu durchschauenden Regeln funktionieren, ist vielen Kunstliebhaber*innen nicht bewusst. Trotz des großen Angebots besucht in Deutschland nur eine Minderheit Kunstmuseen. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben auch mit den Institutionen selbst zu tun. Dass ein Museumsbesuch neben dem Vermitteln von neuen Erkenntnissen und Eindrücken Spaß machen kann, erscheint vielen wie ein innerer Widerspruch. Dabei ist für das Wohlbefinden beim Ausstellungsbesuch die Aufenthaltsqualität das entscheidende Kriterium. Nur dort, wo ich mich willkommen und auch angesprochen fühle, verbringe ich gerne meine Zeit. Um uns in unsere (potenziellen) Besucherinnen hineinzuversetzen und das Museum von ihrer Seite aus zu denken, haben wir im Rahmen der Neupräsentation die Gruppe der Palastpilot*innen ins Leben gerufen. Voraussetzung für die Teilnahme waren Neugier und die Lust, sich bei der Neugestaltung des Museums einzubringen. Vorwissen zu Kunst- und Museumsthemen waren ausdrücklich kein Kriterium. Von über 1.000 Bewerber*innen wurden zehn Düsseldorfer*innen – vom Teenager zur Seniorin, vom Gameentwickler bis zum Polizisten – ausgewählt, mit denen wir in den letzten drei Jahren sämtliche Aspekte des Museumsbesuchs kritisch hinterfragt haben.
Zusätzlich zu der eher klassischen und bewusst zurückhaltenden Präsentation der Sammlung haben wir außerdem gemeinsam mit unserem Digitalpartner Ergo eine App entwickelt, die allen Besuchenden kostenfrei zur Verfügung steht, die Barrieren beim Museumsbesuch abbauen und die Zugänglichkeit und den Spaßfaktor steigern soll.

Ein Mädchen und eine Frau in Ringelpullis liegen unter an die Decke montierte Bildschirme auf denen eine Videoinstallation läuft.

Sie und Ihr Team haben sich dafür entschieden, einen chronologischen Rundgang zu etablieren. Das bedeutet, dass Werke, die ansonsten thematisch getrennt präsentiert wurden, nun gegenübergestellt werden. Man begreift dadurch historische Zusammenhänge anders und ist teils überrascht, was in einer Epoche gleichzeitig stattgefunden hat. Können Sie uns den Reiz davon erörtern? Und wie haben Besucher*innen bisher darauf reagiert?
Unabhängig vom kunst- und kulturhistorischen Kontext erfährt bei der Neupräsentation unserer Sammlung jedes Objekt dieselbe Aufmerksamkeit. Eine inhaltliche Orientierung bietet die grobe chronologische Ordnung des Bestands, die bewusst nicht nach Gattungen oder Herkunftsländern sortiert ist. Die Gegenüberstellungen zielen darauf ab, frei von stilgeschichtlichen Kategorisierungen bestehende Gemeinsamkeiten von zeitnah entstandenen Werken herauszuarbeiten, und nicht – wie das häufig geschieht – Trennendes zu betonen. So ergeben sich überraschende Kombinationen wie etwa die eines japanischen Boro Kimonos aus dem 19. Jahrhundert mit dem Gemälde „Die Kartoffelernte“ von Max Liebermann, in dem der Kleidungsstoff einer niederländischen Bäuerin dem des Kimonos verwandt ist. An anderer Stelle treffen Marienskulpturen auf Buddha-Statuen und kommunizieren auf Augenhöhe. Das Konzept wird von den Besucherinnen sehr gut aufgenommen und intuitiv verstanden. Idealerweise stößt diese Form der Präsentation Denkprozesse an und führt zu neuen Wahrnehmungsformen unserer Welt. Kunsthistoriker*innen, möchten die Kunstgeschichte in der Regel gerne als stringente Sequenz unterschiedlicher Stilfolgen nacherzählen und sehen dies als zentrale Aufgabe der Kunstmuseen. Hier die Romantik, da der Barock; jedem Ismus seinen Platz, gerne auch nach Ländern unterteilt. Lauter Schubladen, die dem Ziel dienen, Orientierung auf einem zutiefst unübersichtlichen Terrain zu gewinnen. Dass die Kunstgeschichte in Wahrheit voller Wege und Nebenwege, voller Sackgassen und Pfade ist, die über unebenes und kaum erschlossenes Gelände führen, wird häufig vergessen. Gerade Museen mit ihren über lange Zeit gewachsenen Sammlungen sind in der Lage, auch solchen Spuren nachzugehen.

Ein Gemälde und ein aus Aludeckeln gewebtes Kunstwerk in Gegenüberstellung.

In unserem Podcast „Alle Rhein!“ haben Sie sehr enthusiastisch darüber gesprochen, Kinder für Ausstellungen begeistern zu wollen. Es scheint Ihnen eine Herzensangelegenheit zu sein. Es gibt sogar ein monatlich stattfindendes Programm für Eltern mit Babys. Kinder für Kunst zu gewinnen, ist Ihnen offensichtlich sehr wichtig. Und Sie scheinen eine Ausnahme zu sein – zumindest in der Museumslandschaft in Deutschland. Was ist Ihre Motivation?
Kinder sind die Besucher*innen der Zukunft. Wenn wir sie nicht in jungen Jahren für das Museum begeistern können, haben wir bald ein Problem. Wir versuchen, alle Altersgruppen abzuholen: Die ganz Jungen mit unserer Kinder-Audiotour, die wir gemeinsam mit Tonies entwickelt haben, ältere Kinder und junge Erwachsene mit der neuen Kunstpalast-App, die Hintergrundinformationen liefert, aber auch lustige Features bietet und den Museumsbesuch um Augmented Reality erweitert. Die App haben wir mit unserem Digitalpartner Ergo entwickelt, der uns vor ein paar Jahren auch bereits den Launch einer eigenen Kinderwebsite, dem Rhino Palast, ermöglicht hat. Mit der „Kleinen“ hat der Kunstpalast außerdem ein Ausstellungsformat etabliert, das ganz jungen Kunstschaffenden – nämlich den Düsseldorfer Grundschulkindern – eine Bühne bietet. Meine Motivation ist das ehrliche Interesse und die Freude in den Augen der Kinder, wenn sie erkennen, dass der Kunstpalast auch ihr Ort ist. Ein Ort, an dem es Angebote für sie gibt und an dem sie ernstgenommen werden.

vier Kinder auf dem Boden im Museum
(Foto: Anne Orthen)

Christoph Niemann hat die Sammlungsräume für Kinder gestaltet, den Rhino Palast im Kunstpalast. Wie sind die Räume entstanden?
Der Künstler und Illustrator Christoph Niemann hat exklusiv für den Kunstpalast über die gesamte Sammlung verteilte Sonderräume entwickelt, die speziell für junge Besucher*innen konzipiert sind. Im Rhino Palast können Kinder auf Entdeckungstour gehen, die Grenzen ihrer Wahrnehmung ausprobieren und spielerisch das Museum für sich erobern. Hinter kleinen Türen mit niedrig platzierten Klinken erwartet Kinder eine ganz eigene Museumswelt: Stifte, die sich verselbständigen, ein Füllfederhalter, der Treppen malt oder ein Tunnel aus fließenden Lichtpunkten, an dessen Ende sich etwas Unerwartetes verbirgt. Christoph Niemann hat unterschiedlichste optische Illusionen auf lustige, kreative und überraschende Art für Kinder jeden Alters und die sie begleitenden Erwachsenen entworfen. Anhand von grafischen Elementen, Projektionen und Licht entsteht ein Spiel mit Perspektiven, Größenverhältnissen und Bewegung. Die Arbeiten Niemanns vermitteln, dass Sehen immer auch Interpretation und Wahrnehmung ein kreativer Prozess ist – das verändert den Blick auf die Kunst.
Wichtig war es mir, unsere Kinderräume direkt in den Sammlungsrundgang zu integrieren und Kindern nicht etwa einen separaten Bereich zuzuweisen. Der Rhino Palast versteht sich als Einladung an Familien, das Haus gemeinsam zu besuchen.

Felix Krämer und Christoph Niemann, der Illustrator, in einem der Kinderräume.
Felix Krämer und Christoph Niemann (rechts) in einem von dem Illustrator gestalteten Räume für Kinder.

Das Re-Opening des Kunstpalastes liegt inzwischen zwei Monate zurück. Gibt es ein überraschendes Ereignis, eine Begegnung, die Sie für immer mit der Eröffnung erinnern werden und mit uns teilen möchten?
Da gibt es viele Ereignisse, die mir in Erinnerung bleiben werden. Eines der schönsten Erlebnisse war aber tatsächlich, zu sehen mit welcher Begeisterung kleine Kinder – auch dank der Tonie-Boxen − den Kunstpalast als ihr Haus entdecken. Sie fühlen sich hier zuhause, das konnte man schon an der Körpersprache sehen. Kinder, die entspannt auf dem Boden eines Museums liegen – ich kann mir kaum ein größeres Kompliment vorstellen!

kunstpalast.de

Interview: Cynthia Blasberg
Fotos: Kunstpalast

Deep Dive ist die neue, mehrteilige Reihe auf unserem Blog „Düsseldorf Storys“. Darin möchten wir tiefer in Themen einsteigen, die besonders spannend und relevant für Düsseldorf sind. Im zweiten Teil des Deep Dive Kunstpalast erwartet euch ein Interview mit Joachim Sieber von Sieber Architekten, der für den Umbau des Kunstpalast verantwortlich ist.

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